Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
erkannt worden. Die Studien berichten beispielsweise davon, dass Teilnehmer der Vorsorgegruppe lebenslang zu Konsumenten von Medikamenten wurden. Von Blutdrucksenkern etwa. Mag sein, dass einige der Behandelten von dieser Medikation profitierten. Aber in der Kontrollgruppe ohne Vorsorge haben dann offenbar genauso viele davon profitiert, keine Blutdrucksenker zu bekommen. Interessant, oder? Es liegt übrigens nahe, dass es sich hier überwiegend um Menschen mit leichtem Bluthochdruck gehandelt hat. Denn Patienten mit starkem Bluthochdruck werden in der Regel schon außerhalb von Gesundheitschecks auf ihr Problem aufmerksam und werden sinnvollerweise mit Medikamenten behandelt. Wir werden auf das Thema Blutdrucksenker später noch einmal zurückkommen.
Es ist schwer vorstellbar, dass durch die Vorsorgeuntersuchungen nicht auch einige ernsthafte Gesundheitsprobleme bei den 90 000 Probanden in der Vorsorgegruppe erkannt und fachgerecht behandelt worden sind. Bei der hohen Zahl der Studienteilnehmer ist es ebenfalls kaum zu glauben, dass nicht zumindest einige dieser Behandlungen über den durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von neun Jahren lebensrettend waren. Warum gibt es dann bei den Überlebenszahlen keinen Vorteil in der Vorsorgegruppe? Der Grund ist ebenso erschütternd wie naheliegend: Vorsorge rettet offenbar in etwa ebenso vielen Fällen Leben, wie sie andererseits zum Tode führt. Sie verursacht sinnlose und gefährliche Operationen. Sie führt zu lebenslangem Konsum von schädlichen Medikamenten. Allgemeine Gesundheitschecks, diese Ausweitung des Medizinbetriebes auf Gesunde, ist nach dieser statistisch extrem fundierten Metaanalyse eine gigantische sinnlose medizinische Aufblähung. Ein riesiges Nullsummenspiel, was den Überlebensvorteil betrifft. Aber natürlich ein Milliardengeschäft, wenn man auf die ärztlichen Untersuchungen, die Diagnosetechnik, die zusätzlich verschriebenen Medikamente und die folgenden Behandlungen schaut. Ein Milliardengeschäft für den medizinisch-industriellen Komplex. Und eine Vernichtung von Milliarden, die wir Krankenversicherte in die Kassen einzahlen.
Es hat auch Kritik an der Metaanalyse der Cochrane-Gruppe gegeben. Einige der eingeschlossenen Studien seien doch schon recht betagt. Heute sei die Diagnostik vor allem bei der weiteren Abklärung von Verdachtsfällen besser. Behandlungsmethoden hätten sich weiterentwickelt. Aber könnte der Effekt nicht sogar umgekehrt sein? Genauere Diagnostik zeigt noch mehr Abweichungen von der Norm und ergibt noch mehr unsinnige medikamentöse Behandlungen mit allen negativen Nebenwirkungen. Oder gar chirurgische Eingriffe, um Krebsgeschwüre zu entfernen, die niemals Probleme gemacht hätten.
Früherkennung von Prostatakrebs
Der amerikanische Arzt und Buchautor Gilbert Welch gibt in seinem Buch Overdiagnosed: Making People Sick in the Pursuit of Health 54 (»Überdiagnostiziert – wie das Streben nach Gesundheit Krankheit produziert«) Einblicke in genau diese Zusammenhänge. Gilbert Welch ist Professor am Dartmouth-Institut für Gesundheitspolitik und klinische Praxis. In seinem Buch widmet er sich besonders ausführlich und beispielhaft für weite Teile der Krebsvorsorge dem Thema Früherkennung des Prostatakrebses.
Prostatakrebs ist in Deutschland für etwa zehn Prozent der Krebstode bei Männern verantwortlich. Nach Lungen- und Darmkrebs ist er der drittgefährlichste Krebs. Etwa drei von 100 Männern sterben daran. »Wenn das nicht Grund genug für Maßnahmen zur Krebsfrüherkennung ist, was dann?«, mögen Sie sagen. Aber lassen Sie uns genauer hinsehen. Denn wir wissen ja schon: Früherkennung schadet und nützt. Man muss beides betrachten und gegeneinander abwägen.
Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts änderte sich die Technik der Früherkennung für diesen Krebs dramatisch. Der PSA-Test ( p rostata s pezifisches A ntigen) ermöglicht es zum ersten Mal, das Risiko für Prostatakrebs anhand eines Markerstoffes einzuschätzen. Je höher der PSA-Wert, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tumor in der Prostata vorliegt. Relativ willkürlich einigten sich die Fachleute auf einen PSA-Wert von vier Nanogramm pro Milliliter als Grenzwert, der eine weitere Abklärung nötig macht. Der PSA-Wert vier markiert etwa eine Krebswahrscheinlichkeit von 30 Prozent. Wie gesagt, die Schwelle ist willkürlich gesetzt. Ein Wert zwischen drei und vier weist auf eine 27-prozentige Wahrscheinlichkeit hin. Ein Wert zwischen
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