Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
medizinischer Praxis und die Organisation medizinischer Versorgung. In Zeiten knapper Mittel – also immer – ist dieser Forschungsansatz von immenser Wichtigkeit. Aber es geht gar nicht in erster Linie um Geld.
Im Oktober 2012 hat diese Gruppe eine Metaanalyse zum Thema »Allgemeine Gesundheitschecks« veröffentlicht. 53 Metaanalysen besitzen in der evidenzbasierten Medizin den höchsten wissenschaftlichen Stellenwert, denn sie werten alle seriösen Studien zu einem Thema aus und erreichen so die höchste statistische Beweiskraft.
Allgemeine Gesundheitschecks: mehr Nutzen als Schaden?
»Screenings«, schreiben die Autoren ganz trocken über ihr Thema, also Vorsorgeuntersuchungen, »führen zu weiteren Diagnosen und Behandlungen, die schaden, aber auch nützen können. Deshalb ist es wichtig abzuschätzen, ob allgemeine Gesundheitschecks mehr nützen als schaden.« In einer Vorbemerkung erklären sie, dass sie sich um patientenrelevante Endpunkte kümmern wollten, um Krankheit und Tod, und nicht um Surrogatparameter wie Cholesterinspiegel oder Blutdruck. Wir haben diese relevanten Endpunkte auch schon in der Diskussion um die Chemotherapie kennengelernt. Wichtig: In der Studie ging es um allgemeine Gesundheitschecks, in denen nicht speziell ein Krankheitsrisiko untersucht wurde. Und: Die Studie bezog sich auf Erwachsene bis zum Alter von 68 Jahren.
Die Wissenschaftler um Lasse Krogsbøll suchten nach randomisierten Studien zum Thema Gesundheitscheck. Also nach Studien, in denen zunächst Teilnehmer rekrutiert und dann nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt worden waren. Das ist wichtig, um gleiche Ausgangsbedingungen für die Gruppen zu schaffen. Die eine Gruppe erhielt die Vorsorgeuntersuchungen, die andere nicht. 14 solcher gut gemachten Studien mit insgesamt 182 880 Probanden konnten die Wissenschaftler finden. Sie differenzierten die Daten in Aussagen zur allgemeinen Sterblichkeit, zur Herz-Kreislauf-Sterblichkeit (Schlaganfall, Herzinfarkt …) und Krebssterblichkeit. Und was glauben Sie nun? Wie groß war der Effekt der Vorsorgeuntersuchung auf die Sterblichkeit?
Neun Studien mit insgesamt 155 899 Teilnehmern stellten Daten zur allgemeinen Sterblichkeit zur Verfügung. Die mittlere Nachbeobachtungsdauer betrug neun Jahre. Im Studienarm mit den Vorsorgeuntersuchungen starben 74 von 1000 Teilnehmern, in dem Arm ohne Untersuchungen starben 75 von 1000 Teilnehmern – im Schnitt. In einigen Studien starben mehr Probanden in der Gruppe mit den Check-ups. Der Unterschied von einem Promille geht im statistischen Rauschen unter. Die Wissenschaftler sagten: Die Studien weisen keinen Unterschied nach.
Acht Studien enthielten Angaben zur Herz-Kreislauf-Sterblichkeit. 152 435 Probanden hatten die Daten geliefert. 37 von 1000 Probanden starben in der Gruppe ohne Vorsorgeuntersuchungen, 38 von 1000 starben mit Vorsorgeuntersuchungen. Wieder sagen die Wissenschaftler: Ein Einfluss der Vorsorgemaßnahmen auf die Sterblichkeit lässt sich mit den Zahlen aus diesen Studien nicht beweisen. In diesem Fall könnte man es sogar so formulieren: »Die Zahlen erwecken den Eindruck, dass Vorsorgeuntersuchungen das Risiko der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit leicht erhöhen. Doch die Werte erreichten keine statistische Signifikanz.«
Ebenfalls acht Studien enthielten Daten zur Krebssterblichkeit. An diesen Studien waren insgesamt 139 290 Probanden beteiligt. In der Gruppe ohne Vorsorge starben im Untersuchungszeitraum 21 von 1000 Personen an Krebs. In der Gruppe mit Vorsorge waren es ebenfalls 21 von 1000. Ein klares Ergebnis!
In diesen Studien mit über 180 000 Teilnehmern haben die Screenings versagt. Zumindest wenn wir auf die »harten« Endpunkte schaut: Versterben durch Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder andere krankheitsbedingte Todesfälle. In Deutschland haben die gesetzlich Versicherten seit 1989 ab dem 35. Geburtstag die Möglichkeit, alle zwei Jahre einen Gesundheitscheck »zu Lasten der Kassen« (was für ein Unsinn: Wir zahlen das!) durchführen zu lassen. Er umfasst eine körperliche Untersuchung und eine Überprüfung von Blut- und Urinwerten. Was passiert hier, wenn das ganze Gewese tatsächlich keinen Einfluss auf unsere Lebenserwartung hat?
Schaden und Nutzen halten sich die Waage
Die Ergebnisse der Cochrane-Studie legen nahe, dass sich positive und negative Effekte der Vorsorgeuntersuchung die Waage halten. In der Vorsorgegruppe sind bei den Probanden sicher massenhaft Abweichungen von der Norm
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