Die Weisse Massai
sie nicht daran.
Mein Herz klopft bis zum Hals, als ich die Tür öffne und über die Schwelle trete. Der Mann hinter dem Schreibtisch schaut auf, und ich erkenne ihn sogleich. Noch bevor ich etwas sagen kann, kommt er strahlend mit ausgestreckten Händen auf mich zu und sagt: »Hello, how are you after such a long time? Wo ist der Massai-Mann? Ich habe ihn nicht mehr gesehen.« Bei diesen zwei Sätzen wird mir warm ums Herz, und ich erkläre nach dem ersten Hallo, es hätte mit dem Paß nicht geklappt und deshalb käme ich das Geld wieder abholen.
Immer noch wage ich nicht, daran zu glauben, doch der Inder verschwindet hinter einem Vorhang, während ich einen kurzen Blick auf Jutta werfe. Sie zuckt nur die Achseln. Schon kommt er zurück und hält in beiden Händen bündelweise Geldscheine. Vor Glück könnte ich heulen. Ich wußte es, ich wußte, daß Lketinga nicht hinter meinem Geld her war. In dem Moment, als ich das viele Geld an mich nehme, fühle ich eine ungeahnte Stärke in mir wachsen. Mein Vertrauen ist zurückgekehrt. Das ganze Geschwätz und die Gerüchte kann ich abschütteln.
Wir gehen auf die Straße, nachdem ich den Inder für seine Ehrlichkeit belohnt habe. Dann sagt Jutta endlich: »Corinne, diesen Massai mußt du wirklich finden. Nun glaube ich dir die ganze Geschichte und vermute auch, daß andere ihre Finger im Spiel haben.« Glücklich falle ich ihr um den Hals. »Komm«, sage ich, »ich lade dich ein, wir gehen essen wie die Touristen!«
Während des Essens planen wir unser weiteres Vorgehen. Jutta schlägt vor, in etwa einer Woche zum Samburu-District zu starten. Es sei ein langer Weg bis Maralal, dem District-Dorf, wo sie Ausschau halten will nach einem Massai, den sie vielleicht von der Küste her kennt. Dem wird sie die Fotos von Lketinga zeigen, und mit etwas Glück werden wir seinen Aufenthaltsort ausfindig machen. »Dort kennt praktisch jeder jeden.« Meine Hoffnung steigt von Minute zu Minute. Wohnen könnten wir bei ihren Freunden, denen sie dort helfe, ein Haus zu bauen. Mit allem, was sie mir vorschlägt, bin ich einverstanden, wenn nur endlich etwas passiert und ich nicht länger untätig abwarten muß.
Die Woche mit Jutta gestaltet sich vergnüglich. Ich helfe ihr, Termine für diverse Portraits zu bekommen, und sie malt. Es klappt gut, und wir lernen angenehme Leute kennen. Die Abende verbringen wir meistens in der Bush-Baby-Bar, da Jutta anscheinend Nachholbedarf an Musik und Unterhaltung hat. Trotzdem muß sie aufpassen, daß sie das verdiente Geld nicht gleich wieder ausgibt, denn sonst sind wir in einem Monat noch hier.
Endlich packen wir unsere Sachen. Etwa die Hälfte der Kleider nehme ich in der Reisetasche mit, den Rest lasse ich im Häuschen bei Priscilla. Sie ist nicht glücklich über mein Weggehen und meint, es sei fast unmöglich, einen Massai-Krieger zu finden. »Sie ziehen ständig von Ort zu Ort. Sie haben kein Zuhause, solange sie nicht verheiratet sind, und höchstens seine Mutter weiß vielleicht, wo er ist.« Aber ich lasse mich nicht mehr abbringen von meinem Plan. Ich bin sicher, das einzig Richtige zu tun.
Zuerst fahren wir mit dem Bus nach Nairobi. Diesmal stört mich die achtstündige Busfahrt überhaupt nicht. Ich bin gespannt auf die Gegend, aus der mein Massai stammt, und mit jeder Stunde kommen wir dem Ziel näher.
In Nairobi hat Jutta wieder einiges zu erledigen, und so hängen wir drei Tage im Igbol-Lodging, einem Tramper-Hotel, herum. Aus aller Welt kommen die Tramper hierher und unterscheiden sich sehr von den Mombasa-Touristen. Überhaupt ist Nairobi völlig anders. Alles ist hektischer, und man sieht viele verstümmelte Menschen und Bettler. Da wir mitten in der »Szene« unser Lodging haben, sehe ich auch, wie die Prostitution blüht. Am Abend lockt eine Bar neben der anderen mit Suaheli-Musik. Fast jede Frau in den Lokalen verkauft sich, sei es für einige Biere oder für Geld. Hauptkunden in dieser Gegend sind Einheimische. Es ist laut und doch irgendwie faszinierend. Wir zwei weißen Frauen fallen sehr auf, und alle fünf Minuten fragt jemand, ob wir einen »boyfriend« suchen. Zum Glück kann uns Jutta in Suaheli energisch verteidigen. Nachts geht sie in Nairobi nur mit einem Rungu, dem Schlagstock der Massai, auf die Straße, weil es sonst zu gefährlich ist.
Am dritten Tag flehe ich Jutta an, endlich weiterzureisen. Sie willigt ein, und wir besteigen mittags den nächsten Bus in Richtung Nyahururu. Dieser Bus ist noch viel
Weitere Kostenlose Bücher