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Die Weiße Ordnung

Titel: Die Weiße Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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Musste er nun alle Speisen und Getränke in den Hallen untersuchen? Hätte er es bereits tun sollen? Er schluckte und steuerte auf den Studiersaal zu.

 
L
     
    » W arum bist du hier, junger Cerryl? Jeslek und Sterol haben dich geschickt.« Der magere, alte Magier beantwortete seine eigene Frage und lächelte übers ganze Gesicht. »Sie haben dich zu mir geschickt, damit ich dich alles über die Anatomie lehre, was ich weiß, und das ist beträchtlich.«
    Cerryl saß auf der harten Bank an der Wand, er verneigte den Kopf und wartete.
    »Aber es stellt sich die Frage: warum? Warum sich mit Anatomie befassen?« Broka hielt inne, er sah jedoch Cerryl nicht an, als er an dem Schüler vorbeiging, als wäre dieser gar nicht anwesend. »Es gibt viele Gründe, Anatomie zu studieren … viele, in der Tat …«
    Der Magier drehte sich plötzlich um und seine langen Finger streiften dabei Cerryls Arm. Cerryl war versucht auszuweichen, doch er blieb aufrecht sitzen, die Augen aufmerksam auf den schmächtigen Magier gerichtet.
    »Chaos wird zu Chaos, das ist der Grundsatz der Anatomie – und des Lebens. Das Leben ist der kurze Moment, in dem das Chaos sich der Ordnung ermächtigt und dabei eine Lebensform schafft; wenn das Chaos die Ordnung verlässt, tritt der Tod ein. Das Chaos hört auf, das Leben aufrechtzuerhalten, das Leben stirbt.« Broka grinste, wobei er seine Zähne zeigte, dann drehte er sich um und ging mit gleitenden, wiegenden Schritten zum Fenster. Er erinnerte Cerryl an eine Eidechse oder eine Viper.
    Cerryls Blick fiel auf das Skelett an dem Holzständer in der Ecke neben dem Fenster. War der Mann oder die Frau ein Verbrecher oder eine Verbrecherin gewesen und hatte er oder sie einfach nur Pech gehabt?
    »Wir wissen, dass Nahrung dem Körper Chaos-Energie liefert, und mit dieser Energie wächst der Körper und verändert sich. Ein lebender Körper verändert nicht nur ständig seine Substanz, sondern auch seine Größe. Wenn diese Veränderungen aufhören, spricht man vom Tod.« Broka fixierte Cerryl mit seinen tief liegenden Augen. »Verstehst du das, junger Cerryl? Wenn der Körper seine Chaos-Energie verliert, ganz gleich auf welche Weise, stirbt er.«
    »Ja, Ser.«
    »Das pure Chaos ist formlos, der Mensch jedoch nicht. Alle an Land lebenden Kreaturen mit Knochen zeigen einen grundsätzlich ähnlichen Körperaufbau. Die Hand und der Arm eines Menschen, der Vorderfuß eines Hundes, der Flügel eines Vogels – alle weisen sie denselben Aufbau auf.«
    Broka schlurfte auf das Knochengerippe zu und deutete mit dem Zeigefinger darauf. »Nun beginnen wir mit dem Skelett – genauer gesagt mit zweihundert verschiedenen Knochen.« Er zeigte auf Cerryl. »Komm her. Du hörst nicht richtig zu. Du musst die Knochen berühren und fühlen. Hauptsächlich fühlen musst du sie. Denn das Fühlen ist das Wichtigste für einen Chaos-Meister.« Ein weiches, kehliges Glucksen folgte.
    Cerryl stand auf und näherte sich vorsichtig dem Knochengerüst, er versuchte sich so hinzustellen, dass das Gerippe zwischen ihm und Broka stand.
    »Alle Knochen können einer der vier Knochenarten zugeordnet werden: lange Röhrenknochen, kurze Knochen, platte Knochen und missgebildete Knochen.« Broka deutete auf einen der Armknochen. »Fass ihn an.«
    Cerryl gehorchte und strich mit den Fingern über die nicht mehr ganz weiße Gliedmaße; weißer Staub schob sich unter seinen Fingerspitzen zusammen.
    »Echte, lebende Knochen fühlen sich nicht so glatt an, nicht so kalt und einladend, aber für den Anfang reicht das.«
    In der drückenden Schwüle der kleinen Kammer musste Cerryl ein Gähnen unterdrücken, gleichzeitig rückte er einen Schritt von Broka ab.
    »Bei Prestad wirst du alle Einzelheiten darüber finden. Das ist das Buch, das ich dir noch geben werde. Jeslek sagte mir, dass du lesen kannst, und lesen musst du.« Broka warf sich eine lange, graue Haarsträhne aus der Stirn und lächelte wieder.
    »Ja, Ser«, antwortete Cerryl, weil er sonst nichts zu sagen wusste.
    »Warum sollst du die Anatomie studieren? Es gibt zwei Gründe. Du musst die Anatomie der Körper kennen, damit du Chaos gezielt zum Heilen einsetzen kannst oder auch zum Töten. Der andere Grund ist, dass die Gilde verlangt, dass du die Anatomie beherrschst.« Broka zuckte mit den Schultern. »Wenn ich den Verdacht habe, dass du deine Anatomie nicht gelernt hast, wirst du niemals ein vollwertiger Magier werden.« Er blickte auf das Skelett. »Du könntest der Gilde

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