Die Weiße Ordnung
stellen wollen.
Der Schüler atmete tief ein und wieder aus. Wie viele Fallen warteten noch auf ihn? War das Gift auch eine Falle gewesen? Er wusste es immer noch nicht. Die Flasche und der Humpen waren verschwunden, aber ob jemand vom Säuberungsdienst die Sachen mitgenommen hatte oder jemand anderes, hatte er nicht feststellen können.
Und dann immer dieser Hinweis auf das Licht. Selbst in dem unheimlichen Traum, den er bei Tellis gehabt hatte, in dem Anya unsichtbar gewesen war, hatte die rothaarige Magierin die Macht des Lichtes erwähnt. Aber was war die Macht des Lichtes? Wie konnte er das herausfinden? Bis jetzt hatte Cerryl in den Farben der Weiße nichts Genaueres darüber entdecken können, obwohl er schon fast die zweite Hälfte zu Ende gelesen hatte – im ersten Durchgang.
Cerryl dachte über Jesleks Frage nach. Nein … er hatte bestimmt noch nicht alles gelesen in dem Buch – wenn er überleben wollte, musste er noch mehr wissen. Sein Magen knurrte; Cerryl hatte am Morgen nicht viel zu sich nehmen können, weil er wusste, dass er von Jeslek geprüft werden würde und auch weil er Kopfschmerzen vom heftigen Regen gehabt hatte.
Er beschloss, im Speisesaal vorbeizugehen. Vielleicht war doch etwas übrig geblieben.
»Ihr seht hungrig aus, junger Magier«, rief einer der Küchenjungen, der gerade mit Schaufel und Besen hantierte. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des blonden Jungen in der roten Krippentunika. »Es ist noch Brot da, ich muss es wegwerfen, wenn Ihr es nicht esst.«
»Danke.« Dankbar nahm Cerryl das letzte Stück Brot aus dem Korb; er schickte kurz seine Sinne hinein, bevor er es herausnahm; soweit er erkennen konnte, enthielt es kein Chaos. Er brach sich ein Stück ab und kaute langsam, seine Gedanken waren immer noch beim Licht. Er durfte nichts tun mit dem Chaos, aber das hieß nicht, dass er nicht darüber nachdenken durfte.
Nachdem er das Brot aufgegessen und sich das Knurren in seinem Magen gelegt hatte, ging Cerryl zu seiner Zelle, wo er sich nur kurz die Farben der Weiße abholen wollte. Er blieb etwas länger, er wurde das Gefühl nicht los, dass jemand in seinem Zimmer gewesen war. Es fehlte jedoch nichts aus seinem kärglichen Besitz – und auch keines seiner Bücher.
Er lächelte. Ihm würde ohnehin nichts fehlen von dem, was er sein Eigen nannte, wenn es denn tatsächlich gestohlen werden würde. Auf den Ärger, den ein Diebstahl mit sich brächte, konnte er jedoch gut verzichten. Durch den plötzlichen Aufbruch aus Tellis’ Haus hatte er das Einzige verloren, das ihm wirklich etwas bedeutet hatte: das alte Amulett, von dem Syodor behauptet hatte, dass es Cerryls Vater gehört hatte.
Diebstahl wurde in den Gildehallen der Magier nicht geduldet und die höheren Magier bemerkten es ohnehin, wenn jemand log. Wenn Cerryl behaupten würde, dass etwas gestohlen worden war, und dabei die Wahrheit sagte, würde ein anderer in große Schwierigkeiten kommen. Cerryl wollte sich die Lage gar nicht vorstellen, in die er geraten würde, wenn er selbst löge.
Er nahm den uralten Wälzer unter den Arm und marschierte zum Studiersaal.
Faltar und Lyasa waren die einzigen Schüler dort. Lyasa war in ein dickes Buch vertieft, das Cerryl noch niemals zuvor gesehen hatte, den Titel konnte er auch nicht erkennen. Er ließ sich auf einem der Hocker an einem leeren Tisch nieder und schlug die Farben der Weiße auf. Im Studiersaal war es nicht sonderlich warm, vielleicht weil es vorher geregnet hatte und der Spätsommerhimmel immer noch von Wolken verhangen war. Kalt und feucht war die Luft, Cerryl spürte, wie die Feuchtigkeit unter seine Tunika kroch.
»Cerryl?« Faltar hatte sich auf den Hocker ihm gegenüber gesetzt. »Wie war’s?«
»Er hat mir viele Fragen gestellt. Die schwerste war die über das Chaos, das zwar allmächtig, aber doch durch Ordnung beschränkt ist.« Cerryl schlug sein Buch auf, schaute aber nicht hinein, seine Augen waren noch immer auf den schmächtigen Faltar gerichtet.
»Das hat er dich gefragt?« Faltar schüttelte den Kopf. »Ich studiere die Farben nun seit über einem halben Jahr und Derka hat mich so etwas noch nie gefragt. Der Erzmagier will dich wohl leiden sehen.«
Wollte Sterol das wirklich? Oder bezweckte er etwas anderes?
»Ich weiß nicht.« Cerryl lächelte schwach. »Es ist egal. Deswegen muss ich auch lernen, was er von mir verlangt. Es bleibt mir keine andere Wahl, oder?«
»Manchmal … manchmal, Cerryl, bist du mir unheimlicher als
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