Die Weiße Ordnung
dann setzte er sich Faltar gegenüber. Geistesabwesend ließ er seine Sinne durch das Essen wandern. Bis auf den vergifteten Apfelwein hatte er jedoch niemals Chaos im Essen gefunden.
»Wo bist du gewesen?«, fragte der blonde Magierschüler.
Neben Faltar zog der krausköpfige Heralt seine Augenbrauen hoch, während er auf dem harten Brot herumkaute.
»Wollte herausfinden, wo Quessa liegt – und Hierna und Zrenca und …« Cerryl brach sich ein Stück Brot ab und tauchte es in die weiße Soße.
»Zu dumm, dass Schreiberlinge die Gläser nicht so zu nutzen wissen wie richtige Magierschüler …«, murmelte Bealtur am Nebentisch.
Cerryl zuckte zusammen, doch dann wandte er sich lächelnd an Faltar. »Aus irgendwelchen Gründen hat mir der edle Jeslek verboten, ein Glas zu benutzen, und ich würde nicht einmal im Traum daran denken, gegen seinen ausdrücklichen Willen zu handeln.« Cerryls Gesicht verhärtete sich. »Ich bin sicher, er würde es nicht gern hören, wenn ein anderer Magierschüler etwas Gegenteiliges vorschlüge.«
Zufrieden vernahm Cerryl vom Nebentisch ein lautes Schlucken.
Faltar und Heralt grinsten, wenn auch nur kurz.
Cerryl war nicht zum Lachen zu Mute. Er hatte noch zu viel Zeichen- und Schreibarbeit vor sich. Nachdenklich biss er vom Haferbrot ab und begann zu kauen.
LVI
D ie Insel Recluce wurde von einer Hitze und Trockenheit beherrscht, die noch ärger war als jene in den Sandhügeln, die nach dem Verrat durch Nylan entstanden war; weder die Magie der dunklen Magier noch die Feuer Megaeras vermochten das Wasser aus der trockenen Erde und den unfruchtbaren Felsen zu locken.
Kinder verdursteten und starben; und trotz des Bannes, mit dem Creslin sein Gefolge belegt hatte, erhoben sich mehr und mehr Stimmen aus Schmerz und Qual, die fragten, warum Creslin sie an einen solch öden Ort geführt hatte.
Er antwortete ihnen nicht, stattdessen zog er sich zurück und schickte Schiffe aus, um die Meere zu plündern. Doch auch die Plünderungen verhalfen der Insel nicht zu mehr Wasser und auch nicht zu ausreichend Nahrung …
Warum fällt der Regen nur auf Candar, auf die Länder unserer Feinde und auf jene, die geschworen haben, uns zu zerstören?, fragte Creslin Megaera. Warum sollen wir nicht die großen Winde verkehren, sodass der Regen wieder nach Recluce kommt und die Insel wie früher beglückt?
Selbst die unscheinbaren Schwarzen Magier durchfuhr ein Schauer, als sie Creslins Worte über die unfruchtbaren Felsen und den gebleichten Sand wispern hörten.
Doch niemand erhob die Stimme, als Creslin und Megaera sich anschickten, Wasser und Himmel zu bewegen, um die Winde umzulenken; kein Wort wurde gesprochen, als der Himmel Feuer spuckte und sich Wasserfluten über Recluce ergossen.
Die Feuer brannten über das vertrocknete Montgren und die Felder von Certis. Selbst die zähesten Gewächse verdorrten und krepierten und die Wälder von Sligo standen einen Sommer lang in Flammen.
Die Fluten ließen nach und der Regen fiel auf Recluce nieder. Creslin und Megaera jubelten, doch niemals blickten sie in ein Glas oder scherten sich um die Zerstörung, die sie über Candar gebracht hatten …
D IE F ARBEN DER W EISSE
(Handbuch der Gilde von Fairhaven)
Vorwort
LVII
E ine Frau in Grün durchquerte die Halle und lief Richtung Innenhof und zum vorderen Gebäude, als Cerryl gerade aus der Bibliothek mit der Karte in der Hand trat – eine Frau in Grün mit rotblondem Haar … eine junge Frau.
Cerryl blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihr hinterher. Konnte es das Mädchen aus dem Glas sein? Sie war nun in jedem Fall eine Frau geworden.
Er warf einen Blick auf die Stufen, die zu Jesleks Gemächern führten, und dann in die Richtung, die sie eingeschlagen hatte. Cerryl schürzte die Lippen. Nach kurzem Zögern bog Cerryl in den Weg zum Hof ein. Als er am Springbrunnen vorbei das hintere Ende der Eingangshalle im Vordergebäude erreicht hatte, war sie schon auf der Treppe zum Turm hinauf.
Cerryl ging schneller und hielt die Karte so, dass sie nicht auf dem Steinboden schleifte. Er wich Lyasa aus, die ihm nur einen fragenden Blick zuwarf, und sah sie mit geschäftigem Gesichtsausdruck an, der, so hoffte er, sein Vorhaben verdecken würde.
Lyasa hob beide Augenbrauen, sagte jedoch nichts.
Als Cerryl schwer keuchend die zwei Wachposten am Fuße des Turmes erreicht hatte, war die junge Frau verschwunden. Kein Geräusch wies darauf hin, dass jemand die Stufen zu den
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