Die Weiße Ordnung
Kraft gespannt hatte.
Eliasar nahm den Bogen und prüfte ihn wortlos, dann legte er einen Pfeil an und schoss ihn durch den linken Arm der mittleren Strohpuppe. »Knapp daneben.« Ein zweiter Pfeil traf die Puppe genau in der Brust. »Jetzt bist du dran.«
Der erste Pfeil fiel Cerryl beim Spannen einfach aus dem Bogen, weil seine schweißnassen Finger keinen Halt fanden. Er wischte sie sich an der Hose ab und versuchte es noch einmal. Der Pfeil landete weit vor dem Ziel im Sand. Cerryl benötigte fünf Versuche, bevor der erste Pfeil die Stoffbahn traf.
Blut lief ihm über die Finger der rechten Hand.
»Es soll genug sein. Man sieht, dass es dir an Übung mit Waffen fehlt.« Eliasar nahm den Bogen wieder an sich und spannte die Sehne aus. Irgendwo aus seiner Tunika holte er ein Tuch hervor und wischte den Bogen damit ab.
»Du wirst niemals eine Klinge erheben müssen – oder ein Schwert. Warum, glaubst du, habe ich dich das alles tun lassen?« Eliasar grinste. »Du wirst es noch zwanzig Mal und öfter tun müssen, bevor du mit den Lanzenkämpfern reiten darfst.«
»Damit ich weiß, was die Lanzenkämpfer tun?«
Eliasar lächelte kalt. »Damit du nicht aus Ahnungslosigkeit etwas tust, das die Lanzenkämpfer oder dich umbringen könnte. Du weißt nichts. Du hast noch nicht einmal angefangen zu verstehen.« Das Grinsen kehrte auf das Gesicht des Magiers zurück. »Zumindest kannst du die Rüstung tragen und dich damit bewegen. Vielleicht besteht doch noch Hoffnung für dich.« Eliasar drehte sich um. »Du kannst die Rüstung ausziehen und dann zurück in den Studiersaal gehen.«
Cerryl hatte Mühe, mit dem älteren Magier Schritt zu halten, schwer keuchend rannte er hinter ihm her.
»Wir sehen uns in ein oder zwei Achttagen wieder. Vielleicht auch später, wenn du zum Kanaldienst verdonnert wirst, aber wir werden uns wieder sehen. Dann werde ich dir zeigen, wie man anständig reitet. Das musst du beherrschen und ich werde schon dafür sorgen, dass du es lernst.«
Daran hegte Cerryl keinen Zweifel, und auch nicht daran, dass der Magier Gefallen daran fand, seinen Schülern das Leben schwer zu machen.
LV
C erryl betrachtete den Kartengrundriss, der mit leichten Federstrichen auf das Pergament vor ihm gemalt war. Am liebsten hätte er die Feder in das glatte Holz des Arbeitstisches gerammt oder wäre mit dem Kopf gegen die Wand gerannt, oder er hätte – was noch besser wäre – Kesrik oder Bealtur zu Brei geschlagen oder sie, an einen Holzstamm gefesselt, durch Dylerts Säge gejagt.
Ein Achttag und zwei Tage waren schon vergangen und Cerryl hatte nur den Grundriss auf dem Pergament. Seine Finger schmerzten noch immer von der morgendlichen Übung mit Eliasar, was ihm das Zeichnen nicht gerade erleichterte. Er hatte einen Maßstab festlegen müssen, der auf die Größe des Pergaments passte, das er bei Arkos hatte kaufen können. Dafür hatte er fast zwei Tage gebraucht, weil die Karten in den Büchern und die größeren aus der Bibliothek der Magier nicht miteinander übereinstimmten, nicht sonderlich genau jedenfalls.
Nicht nur die Größen und Maßstäbe unterschieden sich, auch die Namen waren nicht immer die Gleichen. Manchmal wurde Fenard als Fenardre bezeichnet – nach einem früheren Herrscher in Gallos, so vermutete Cerryl – und Jellico als Jellicor. Die Westhörner hießen in einigen Karten Ouesthörner. Eine Stadt in Certis besaß vier verschiedene Namen: Yytrel, Rellos, Estalcor und Rytel. Cerryl glaubte aufgrund des Alters der verschieden Sagen und Orte, dass der gegenwärtige Name Rytel sein musste – wenn er sich nicht schon wieder geändert hatte.
Westlich der Westhörner war es noch ärger, doch darüber musste er sich, dem Licht sei gedankt, keine Sorgen machen.
Einer der Orte, die Jeslek erwähnt hatte – Quessa –, erschien auf keiner der Karten. Aus diesem Grund hatte Cerryl die wenigen Studenten befragt, denen er vertraute, wie Faltar, Lyasa und den schüchternen Heralt. Keiner von ihnen wusste etwas.
Cerryl hätte sich ohnehin nicht getraut, einen Magier zu fragen, bei dem er nicht studierte – und Jeslek, Broka und Derka schon gar nicht – aber er wunderte sich doch, warum Jeslek eine solche Befragung verboten hatte. Um Cerryl dazu zu zwingen, die Bücherei und all die alten Geschichtsbücher zu durchforsten? Um ihm die Arbeit noch zu erschweren? Wieder eine von Jesleks endlosen Prüfungen?
Er sah auf die Karte, dann packte er sie und legte sie zum Trocknen über
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