Die Weiße Ordnung
Geschichtsbücher lese.« Wieder gähnte er.
»Du hast dunkle Ränder um die Augen. Oh, Cerryl …« Pattera warf einen Blick auf das Licht über der Tür. »Ich könnte dich ein Stück begleiten. Wo gehst du hin?«
»Ich gehe nur spazieren«, sagte er. »Ich habe Kopfschmerzen.« Cerryl setzte seinen Weg fort.
»Dein Meister verlangt zu viel von dir.« Pattera hielt mit ihm Schritt.
»Man muss die Bücher studieren, wenn man ein Schreiber werden will.«
»Aber nicht ständig.«
»Oft.« Cerryl blieb an der Hauptstraße stehen und ließ einen kleinen Eselskarren vorbeifahren. Die Frau auf dem Kutschbock – sie roch nach gebratenen Hühnern – würdigte die beiden keines Blickes.
Während Cerryl die weiße Straße überquerte, rieb er seine Schläfen und versuchte sich zu entkrampfen.
»Nicht da lang«, sagte Pattera. »Komm, setz dich auf die Bank.«
Er setzte sich auf die zweite Steinbank auf dem Platz und ließ ihre kräftigen Finger die Muskeln zwischen den Schulterblättern bis hinauf zum Nacken massieren. Die Verspannung löste sich. Der Geruch von feuchter Wolle ging von dem Mädchen aus und Cerryl fragte sich, ob er den beißenden Geruch der Eisengallustinte an sich trug.
Wie konnte jemand, der nach Tinte roch, auch nur im Entferntesten an eine Frau denken, die sich in Seide kleidete?
Und doch tat er es und würde es immer tun, auch wenn er ein schlechtes Gewissen dabei hatte, Patteras Dienste in Anspruch zu nehmen und gleichzeitig an die rotblonde Frau zu denken.
XL
» K onzentrier dich auf die Arbeit«, mahnte Tellis, der in der Tür stand. »Denk nicht dauernd an deine kleine Weberfreundin. Nicht mit der Feder in der Hand.« Der Meisterschreiber grinste.
Cerryl wurde rot. »Ja, Ser.«
»Wenn du erst einmal ein richtiger Geselle bist …« Tellis hielt inne. »Dann wirst du nicht mehr zuhören. Ich habe es auch nicht mehr gemacht, aber ich war glücklich und dann sehr unglücklich. Elynnya war eine ganz besondere Frau.« Er schüttelte den Kopf. »Genieß einfach das, was du hast, und frag nicht lange.« Seine Stimme hellte sich ein wenig auf. »Wenn ich Arkos etwas Vernunft beigebracht habe, versuche ich dasselbe bei Nivor, und dann bin ich für den Rest des Tages im Turm. Der verehrte Sterol möchte etwas abgeschrieben haben, das den Turm nicht verlassen darf.« Der Schreiber hob die Hand und zeigte mit dem Finger auf seinen Lehrling. »Ich erwarte weitere Fortschritte beim Kräuterbuch – und behalte die Buchstabenbreite bei.«
»Ja, Ser.«
Tellis nickte und wandte sich zum Gehen.
Seine Weberfreundin? Pattera war nett und in gewisser Weise auch anziehend und zweifellos in Cerryl verliebt. Das reichte jedoch nicht. Aber was würde reichen? Ein Mädchen mit rotblondem Haar, dessen Vater einen kleinen Schreiberlehrling zweifellos verachten würde? Und dann war da noch die Rothaarige, die immer wieder in seinen Träumen auftauchte – ungewollt. Mit Sicherheit war sie eine Magierin; Cerryl fand sie anziehend und seine Haut kribbelte bei dem Gedanken an sie. Noch niemals hatte er so an eine Frau gedacht.
Einen Augenblick später hörte er die Vordertür und die klägliche Glocke des Müllwagens, bis Tellis die Tür wieder hinter sich schloss.
Cerryl sprang zum Abfalleimer neben dem Arbeitstisch. Er hob den schweren Holzbehälter hoch und schleppte ihn hinaus, Beryal folgte ihm mit dem Eimer aus der Küche.
Seite an Seite warteten sie auf den Müllwagen, der im Schritttempo die Straße entlang rumpelte. Zwei junge Soldaten in weißen Uniformen ritten neben dem Wagen. Gelangweilt blickten sie vom Wagen zu Beryal und dann zu Cerryl, doch für beide fielen nur abweisende Blicke ab.
Cerryl hob den Eimer an und schüttete den Inhalt – Lederabfälle, unbrauchbare Palimpseste, ausgepresste Galläpfel – auf die Ladefläche des Wagens und trat zurück.
»Tellis ist niemals im Haus, wenn der Wagen kommt. Hast du das schon bemerkt?« Beryal hielt Cerryl die Tür auf.
»Er ist der Meister Schreiber.«
»Er könnte auch noch Meister anderer Dinge sein.« Beryal schüttelte den Kopf und wollte gerade die Tür schließen. »Aber das wird er niemals sein. Die Reichen wissen das zu verhindern.«
Benthann presste sich an ihnen vorbei durch die Tür. Sie schaute ihre Mutter und Cerryl nicht einmal an und rannte die Straße hinunter, um den Wagen zu erwischen. Sie trug eine kleine Schachtel in den Händen.
»Und dann gibt es noch die, die glauben, dass der Müllwagen auf sie wartet.«
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