Die Weiße Ordnung
Beryal grinste und schloss endgültig die Tür, bevor sie wieder in die Küche ging.
Cerryl wischte mit dem Lappen die Seitenwände und den Rand des Abfalleimers sauber, dann stellte er ihn zurück an seinen Platz. Er setzte sich an den Schreibtisch und säuberte die Feder, die er einfach liegen gelassen hatte, als er die Wagenglocken gehört hatte.
Benthann warf einen Blick ins Arbeitszimmer. »Warum hast du mich nicht gerufen?«
»Ich habe den Wagen erst gehört, als er schon vor der Tür stand, und der große Eimer war voll.« Cerryl sah auf, doch Benthann hatte nicht einmal seine Antwort abgewartet. Er zuckte die Achseln und ihm wurde klar, dass er die jungen Frauen wohl nie verstehen würde. Aber schließlich gab es so vieles, was er nicht verstand, so viele Fragen, die in ihm nagten – wie etwa Tellis’ düstere Stimmung, als er seine Gemahlin erwähnt hatte. Cerryl hätte gern mehr gewusst, doch er wagte nicht zu fragen. Es gab so vieles, das er nicht zu fragen wagte.
Cerryl schnitt die Federspitze zurecht, glättete das Pergament und tauchte die Feder in die Tinte. Tellis hatte Recht gehabt; er musste zusehen, dass er mit dem Kräuterbuch vorankam, auch wenn er sich dabei langweilte.
Er runzelte die Stirn, als er sich an Tellis’ Worte erinnerte: Er sollte etwas abschreiben, das den Turm der Magier nicht verlassen durfte. Bedeutete das, dass die Bücher, die wirklich Erklärungen über die Chaos-Handhabung enthielten, ständig von Magiern bewacht wurden? Wenn dem so war, wie konnte er es dann jemals lernen? Außer durch Versuche, die gefährlich werden konnten.
Er richtete die Augen stur auf das Buch auf dem Vorlagenhalter und begann die Buchstaben auf das neue Pergament zu malen.
… wenn die Blätter braun sind, getrocknet und zerstoßen, dann kann man sie zur Reinigung der Eingeweide verwenden … Man verordne jedoch niemals mehr als einen Fingerhut für einen ausgewachsenen Mann … und gebe es keinem Kind unter vier Stein …
Wieder erschien ein Gesicht in der Tür.
»Cerryl, ich gehe zum Markt«, verkündete Beryal. »Benthann ist schon weg, die Dunkelheit weiß, wann sie zurückkommen wird. Auf dem Wohnzimmertisch liegen zwei Kupferlinge, falls Shanandra die Kräuter bringen sollte, die sie schon lange versprochen hat. Zwei Kupferlinge für das Ganze, nicht mehr. Verstanden?«
»Wie viel ist das Ganze? Und welche Kräuter?«
»Ah … Verstand hast du, im Gegensatz zu meiner Tochter. Füll den Korb auf dem Tisch, ohne die Blätter zu zerdrücken. Sie bringt Salbei und Estragon, Fenchel … Trocken sollten sie sein, aber nicht so trocken, dass die Blätter zwischen den Fingern zerbröseln.« Beryal nickte und ging hinaus.
Cerryl reinigte die Federspitze noch einmal fein säuberlich, da er befürchtete, dass die Tinte eingetrocknet sein könnte, dann tauchte er die Feder in die Tinte und schrieb zur Probe einen Satz auf das Palimpsest. »Gut.«
Seine Augen wanderten zurück zum Vorlagenhalter und dem Kräuterbuch.
XLI
I m Dämmerlicht trug Cerryl den Nachttopf hinaus zum Abwasserkanal. Er stellte den Topf auf die verstaubten Steine und hob den Steindeckel mit einer schnellen Bewegung an. Beim Hineinschütten des Inhalts in die Kloake musste er den Atem anhalten, die stinkenden Dämpfe stiegen ihm schon in die Nase, noch bevor er den Deckel wieder schließen konnte. Manchmal stank der Kanal widerlich, ein andermal wieder roch man nicht das Geringste.
Er füllte den Topf zur Hälfte mit Wasser, um etwaige Rückstände auszuspülen. Den Inhalt schüttete er abermals in die Kloake. Cerryl roch vorsichtig am Topf und befand ihn für sauber genug, um ihn wieder in die Kammer zu stellen.
Da ertönte ein kratzendes Geräusch von der Straße, dort wo sie auf die Gasse der niederen Handwerker traf. Kotwin der Töpfer zog gerade den Kanaldeckel vor seinem Haus wieder auf die Öffnung, den Nachttopf in der freien Hand.
Der beißende Geruch von Kohlenfeuer verbreitete sich in den Straßen. Cerryl drehte sich lächelnd um und zog das Tor hinter sich zu. Er ging in seine Kammer, wo der Eimer mit Waschwasser bereits auf ihn wartete.
Nach einem prüfenden Blick auf verschlossene Fenster und Türen sah er auf das Wasser im Eimer. Er konzentrierte sich darauf und auf ein Chaos-Feuer in der Gestalt eines Feuerhakens im Eimer.
Mit einem Zischen stieg Dampf auf und Cerryl lächelte. Warmes Wasser behagte ihm viel mehr als das eiskalte Nass, das aus der Pumpe kam. Cerryl zog das zerlumpte,
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