Die Weiße Ordnung
abgetragene Nachthemd aus und streckte sich.
Etwas Kaltes, Nebelartiges schien sich im Raum auszubreiten und Cerryl war, als würde ihn jemand prüfend ansehen, ein kalter Blick, als wäre er ein Stück rohes Fleisch oder eine ausgenommene Flussforelle. Er versuchte sich so unauffällig wie möglich zu waschen und anzukleiden und wusste genau, dass eine Reaktion seinerseits, gleich welcher Art, sein Leben in Fairhaven nur verschlechtern würde. Cerryl hoffte inständig, dass der unsichtbare Beobachter das kurze Aufflackern des Chaos nicht entdeckt hatte.
Niemals würde er Chaos-Kräfte heraufbeschwören, während er sich beobachtet fühlte, aber es war klar, dass irgendjemand oder irgendetwas nach Chaos suchte. Sollte er sich etwa in Zukunft wieder nur mit kaltem Wasser waschen? Bei diesem Gedanken konnte er nur zusammenzucken.
Er fragte sich immer wieder, was er wohl getan hatte, dass ein Weißer Magier ihn nun durch ein Spähglas verfolgte. Oder war es die rothaarige Magierin?
Morgen, so sagte er sich, gibt es kein warmes Wasser. Aber das hatte er sich am Tag zuvor auch schon vorgenommen. Er saß auf dem Bett und zog die Stiefel an. Das Waschwasser trug er hinaus zur Kloake und den Eimer hängte er anschließend wieder an den Nagel an der Wand. Dann ging er hinüber zum Wohnraum, um zu frühstücken.
»Habe dich schon kommen sehen.« Beryal stellte einen Steinteller mit einer Scheibe von dem gebratenen Eibrot vor ihm auf den Tisch, noch bevor er richtig saß.
»Danke.« Cerryl goss sich ein wenig von dem bitteren, gelben Tee ein, weil er wusste, dass ihm dann das fetttriefende Brot besser bekommen würde.
»Cerryl?«, brummte Tellis.
»Ja, Ser?«
»Ich habe das Kräuterbuch durchgesehen, als ich letzte Nacht heimkam.« Tellis murmelte die Worte undeutlich. »Du hast deine Sache gut gemacht und auch die Buchstaben gleichmäßig breit gehalten. Nur kleine Abweichungen, aber nichts Schlimmes.«
»Danke.« Cerryl nahm einen großen Bissen des fettigen Brotes und spülte mit einem Schluck Tee nach.
»Du musst heute damit weitermachen. Der Erzmagier hat mich wieder zu sich bestellt, die nächsten Achttage kann es spät werden. Sie haben viel zu kopieren.«
»Kann denn niemand anderes das tun?«, fragte Beryal. »Man sollte doch meinen, sie hätten ihre eigenen Schreiber.«
Cerryl setzte einen unbeteiligten Gesichtsausdruck auf, biss in sein Brot und wartete gespannt auf die Antwort des Meisterschreibers.
»Das mag wohl sein, aber für die Arbeiten, die Bestand haben sollen, brauchen sie mich. Wenn die, die mit Chaos hantieren – aber das habe ich dir doch schon erklärt, Beryal; warum hörst du nie zu? Nun, wenn sie Bücher abschrieben, würde sich das Leben der Originale und das der Kopien erheblich verkürzen.« Tellis befeuchtete sich die Lippen, bevor er einen kräftigen Schluck aus seiner Tasse nahm und dann den letzten Happen seines Eibrotes in den Mund steckte. »Noch ein Stück, bitte. Ich habe einen langen Tag vor mir.«
Beryal stand auf und stellte sich an den noch heißen Herd; sie gab einen Klumpen Fett in die eiserne Bratpfanne.
»Was soll ich sonst noch tun, Meister Tellis?« Cerryl steckte den Rest seines Eibrotes in den Mund.
»Du musst weiter an dem Kräuterbuch schreiben. Du näherst dich doch ohnehin schon bald dem Ende, oder?«
»Ja, Ser. In den nächsten Tagen.«
»Ich werde ein ganzes Fass dunkler Eisengallustinte brauchen. Und du auch. Ich nehme das große Fass.«
»Eibrot.« Beryal gab eine weitere Scheibe des in Ei getauchten Brotes in die Pfanne und dann noch eines. »Und noch eins für den Lehrling.«
»Danke.« Cerryl lächelte und goss sich noch mehr von dem Tee ein.
»Vergiss nicht, die Gläser auszuwaschen, bevor du die Tinte mischst.«
»Nein, Ser.« Cerryl nahm allen Mut zusammen und fragte beiläufig: »Was kopiert Ihr bei den Magiern?«
»Was immer sie wollen«, antwortete Tellis mit einem geheimnisvollen Lächeln.
»Ich frage ja nicht, was in den Büchern steht, Ser. Ich wollte nur …«
»Ich verstehe nur wenig von dem, was drin steht – und will es auch gar nicht so genau wissen, mein Junge.« Tellis machte ein strenges Gesicht. »Und so solltest du auch denken, wenn du von einem der Großen gerufen wirst. Es ist eine Herausforderung und eine Ehre.«
»Mehr als das«, warf Beryal ein. »Sie zahlen auch gut.«
Tellis schenkte Beryals Worten keine Beachtung und stand auf. »Es ziemt sich nicht, zu spät zu kommen, am wenigsten, wenn man zu den Magiern
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