Die Weiße Rose
Arbeitsdienstpflichtigen fast ohne Bezahlung arbeiten lassen. Nebenbei erhielten sie ein vormilitärisches Training, das sie auf den Drill bei der Wehrmacht vorbereitete.
Gleichzeitig legte die NS-Regierung ein gewaltiges Konjunktur- und Rüstungsprogramm auf, mit dem die Wirtschaft angekurbelt wurde. Die Programme wurden durch ein hemmungsloses Aufblähen der Staatsverschuldung finanziert. Der nationalsozialistische „Staatsraub“ 50 an den Juden hatte also nicht nur ideologische Gründe. Durch den systematischen Diebstahl an den Juden konnte die Leistungsbilanz der NS-Wirtschaft geschönt werden.
Weil das nationalsozialistische Wirtschaftswunder auf finanzpolitisch tönernen Füssen stand, war der NS-Staat auf Expansion angewiesen. Nur durch die Ausplünderung Europas konnte „Hitlers Volksstaat“ (Götz Aly) wirtschaftlich auf lange Sicht überleben.
Der bereits während der Weimarer Republik begonnene Autobahnbau wurde weitergeführt und gesteigert, die Errichtung von Staudämmen, Brücken und andere Infrastrukturmaßnahmen in Angriff genommen. Die Wehrmacht wurde gewaltig aufgerüstet, eine Luftwaffe und eine Panzertruppe aus dem Boden gestampft. Bald zeigten sich erste Erfolge: die Zahl der registrierten Arbeitslosen sank im Lauf von zwei Jahren von sechs Millionen bei Hitlers Machtantritt auf 1,1 Millionen. Berufstätige Frauen wurden systematisch aus dem Arbeitsleben gedrängt, um mehr freie Stellen für Männerzu schaffen. Die Einführung der Wehrpflicht entspannte die Arbeitsmarkt-Situation zusätzlich.
Nach der „Machtergreifung“ wurden nicht nur neue Arbeitsplätze geschaffen. Hitlers Staat verteilte auch soziale Wohltaten. Erstmals erhielten Beschäftigte einen gesetzlich garantierten Urlaubsanspruch, es gab Ehestands-Darlehen für junge Brautpaare und günstige staatliche Kredite für Häuslebauer. Kleine Einkommen wurden niedrig besteuert, die Preise blieben stabil und die Mieten durften nur noch langsam steigen. Das Ferienwerk „Kraft durch Freude“ (KdF) ermöglichte auch einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen eine Urlaubsreise. Das populäre Winterhilfswerk unterstützte Arme, Alte und kinderreiche Familien. Auch jenseits der Goebbels-Propaganda, die jeden kleinen Erfolg der NS-Regierung gewaltig aufblies, empfanden viele „Volkgenossen“, dass sich ihre Lage wirtschaftlich verbessert hatte. Die anfängliche Skepsis gegen die neuen Herren legte sich nach und nach. Die meisten Deutschen begannen, sich in Hitlers „Volksgemeinschaft“ einzurichten. In der nationalsozialistischen „Gefälligkeitsdiktatur“ (G. Aly) schien jeder „Arier“ seinen Platz zu finden. Die Verfolgungsmaßnahmen des Regimes schienen nur die anderen zu treffen.
Eine kleine Minderheit misstraute dem schönen Schein. Der größte Teil des politischen Widerstands kam von der politischen Linken. Durch den ideologischen Gegensatz zwischen ihnen bildeten KPD und SPD niemals eine gemeinsame Front gegen die nationalsozialistische Machtübernahme. So hatte die Gestapo ein leichtes Spiel. Es gelang ihr, die etwa 25 000 linken Regimegegner in kurzer Zeit zum Verstummen zu bringen. Wer sich widersetzte,musste mit der Einlieferung in ein KZ rechnen. Deshalb schwiegen die Anhänger der Linken lieber öffentlich und ballten die Faust in der Tasche. Aus SPD-Ortsverbänden wurden scheinbar unpolitische Stammtischrunden. Nur unter großen Gefahren gelang es KPD-Gruppen, Anti-NS-Propaganda ins Land zu schmuggeln.
Die nationalsozialistische Gefälligkeitsdiktatur konnte sich auf einen großen Rückhalt in der Bevölkerung stützen. Deshalb gab es im „Dritten Reich“ nur einen „Widerstand ohne Volk“. 51
Auch die Geschwister Scholl gingen ihren Weg in den Widerstand eher zögerlich. Inge Scholl beschreibt den aufkommenden Zweifel so:
„In uns erwachte das Gefühl, als lebten wir in einem schönen und reinen Haus, in dessen Keller hinter verschlossenen Türen furchtbare, böse, unheimliche Dinge geschehen. Und wie der Zweifel langsam von uns Besitz ergriffen hatte, so erwachte nun in uns das Grauen, die Angst, der erste Keim einer grenzenlosen Unsicherheit.“ 52
Besonders Hans Scholl machte sich keine Illusionen mehr über den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes. Nach seiner Verhaftung lernte er den vier Jahre jüngeren Otl Aicher kennen, der ein Schulkamerad von Werner Scholl war. Im Gegensatz zu den Scholl-Geschwistern stammte Otl (eigentlich Otto) Aicher aus einer kleinbürgerlichen katholischen Familie.
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