Die Weiße Rose
russischen Zwangsarbeitern. Das Kleeblatt um Scholl und Schmorell suchte den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. In dem Waldstück, in dem sich der Hauptverbandsplatz von Gschatsk befand, lebten zahlreiche Russen, die in verschiedenen Lagern untergebracht waren. Dem Halbrussen Alexander Schmorell gelang es meistens schnell, das Misstrauen der Russen vor den fremden Soldatenzu überwinden. Die Studenten verteilten Brot, Zucker und Tabak und leisteten medizinische Hilfe. Sie sangen, tranken und musizierten mit den Einheimischen. Einmal nahmen sie sogar an einem spontan organisierten Tanzvergnügen teil.
Für Willi Graf war der freundschaftliche Umgang mit den Einheimischen eine bereichernde Erfahrung. Er hatte die Russen vorher nur als Feinde erlebt. Wie seine Freunde berührte ihn das Unglück des russischen Volkes, „das wie auch das Unsere solche Nöte und Ungeheuerlichkeiten erleben muss.“ 131
Die Treffen mit der Bevölkerung waren für die Studenten nicht ungefährlich. Es wurde nicht gerne gesehen, wenn deutsche Soldaten mit „slawischen Untermenschen“ Freundschaften schlossen. Menschlichkeit und selbst das Verteilen von Brot konnte als „Feindbegünstigung“ ausgelegt werden. Dieses angebliche „Verbrechen“ wurde von der NS-Militärjustiz mit Verrat gleichgesetzt und sehr hart geahndet. Langjährige Haftstrafen oder sogar die Todesstrafe waren bei einer Verurteilung wegen „Feindbegünstigung“ nicht selten.
Die militärischen Vorgesetzten von Scholl und seinen Freunden sahen über das Verhalten der Sanitätsfeldwebel hinweg. Bei den Frontärzten und im gesamten Sanitätskorps hatte die nationalsozialistische Rassenideologie wenig Anhänger. Die Mehrzahl der Mediziner fühlte sich an den hippokratischen Eid gebunden, hinter dem der Schwur auf Hitler zurückstand.
Für die jungen Medizinstudenten hatte der Eid auf den „Führer“ längst keine große Bedeutung mehr. Ihreganze Verachtung für den Nationalsozialismus zeigten sie während des Rücktransports bei einem Kneipenbesuch in Warschau. In der „Blauen Ente“ baten sie die Kapelle, ein russisches Volkslied zu spielen und sangen laut mit. Etwas später am Abend intonierten sie noch die englische Nationalhymne „God Save the King“.
Sie hatten Glück, dass sie niemand wegen „Wehrkraftzersetzung“ bei der Feldpolizei angezeigte. Unbehelligt kehrten die Vier nach München zurück. Die Erfahrungen in Russland hatten Scholl, Schmorell und Graf in ihrem Beschluss gestärkt, gegen den Wahnsinn des Krieges vorzugehen. Alexander Schmorell sagte nach seiner Rückkehr vom Fronteinsatz zu seiner Freundin Lilo Berndl-Ramdohr:
„Nach dem Krieg darf es keinen Hitler mehr geben und auch der Bolschewismus muss restlos verschwinden.“ 132
118 Brief vom 27.7.1942, in: Jens, S. 105.
119 ebd.
120 vgl. Scholl, S. 47.
121 Der Militärhistoriker Detlef Bald hat den Kriegseinsatz des Scholl-Kreises in seiner bereits erwähnten Studie: Die Weiße Rose. Von der Front in den Widerstand. Berlin 2003, rekonstruiert. Die folgende Darstellung stützt sich auf Balds Erkenntnisse.
122 Brief vom 7.8.1943 an die Eltern, in: Jens, S. 105.
123 Bald, S. 100.
124 zit. nach Bald, S. 142.
125 zit. nach Bald, S. 140.
126 zit. nach Zankel, S. 82.
127 Jens, S. 129.
128 Jens, S. 114.
129 Russlandtagebuch vom 30.7.1942, in: Jens, S. 113.
130 Jens, S. 128.
131 Brief von Willi Graf vom 24.9.1942, zit. nach Bald, S. 148.
132 zit. nach Süß/Süß, S. 29.
Die Widerstands-
bewegung
Während seine Söhne an der Front waren, wurde Robert Scholl im Sommer 1942 verhaftet. Er war von seiner Sekretärin bei der Gestapo denunziert worden. Im Gespräch hatte er Hitler „eine rechte Gottesgeißel“ genannt. Diese Aussage genügte, um ein Strafverfahren gegen Robert Scholl einzuleiten. Er hatte gegen das „Heimtückegesetz“ verstoßen, eine jener typischen Bestimmungen der NS-Terrorjustiz, die jeden Deutschen wegen der geringsten Unmutsäußerung treffen konnten.
Ein weiterer Anklagepunkt lautete auf „Rundfunkverbrechen“ also das Hören sogenannter „Feindsender“. Seit Kriegsbeginn durften keine ausländischen Sender mehr empfangen werden. Auf jedem Radiogerät musste gut sichtbar ein roter Aufkleber angebracht werden, der davor warnte, andere als die Goebbels-Sender einzustellen.
Die Strafe für einen überführten Schwarzhörer betrug bis zu drei Jahre Zuchthaus, hartnäckige
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