Die Weiße Rose
nutzten das Konzertangebot ausgiebig. Daneben sangen sie im Bachchor. Oft trafen sich die Freunde spätabends nach den Konzerten und diskutierten bis tief in die Nacht, wie sie ihre Widerstandstätigkeit weiterführen sollten.
1941 hatte Alexander Schmorell in einer privaten Zeichenschule eine junge Frau kennengelernt und sich mit ihr angefreundet. Lilo Berndl, geborene Ramdohr, war vier Jahre älter als er und mit dem Baurat Otto Berndl verheiratet, der zu diesem Zeitpunkt in Russland dienstverpflichtet war. Bald schon stellte ihr Schmorell seine Freunde vor. Nach und nach erfuhr Lilo Berndl von der NS-kritischen Haltung des Freundeskreises. Der enge Zusammenhalt der Gruppe imponierte ihr. Noch 2006 berichtete sie:
„Diese Freundschaftsmoral hatten alle im Kreis der Weißen Rose. Und alle waren Regimegegner. Die Sehnsucht nach individueller Freiheit, die göttliche Ordnung zum Maßstab der Beziehung zwischen den Menschen und Völkern zu machen, war ein verbindendes Ziel.“ 136
Im Sommer 1942 fiel Otto Berndl in Russland. Die junge Witwe hatte einen Jugendfreund, der sich sehr um sie bemühte. Er hieß Falk Harnack, war Dramaturg am Theater in Chemnitz und hatte über seinen Bruder Arvid Kontakt zum Widerstandsnetz „Rote Kapelle“.
Die „Rote Kapelle“, so nannte sie die Abwehr, also der deutsche Militärgeheimdienst, war ein lockerer Zusammenschluss von mehren Widerstandgruppen um Arvid Harnack und Harro Schulze Boysen. Sie war eine pro-sowjetische Sammlungsbewegung, die allerdings nicht orthodox-stalinistisch war und die deshalb unabhängig von den Widerstandsgruppen der KPD operierte. Anders als die KPD-Gruppen rekrutierte die „Rote Kapelle“ ihre Mitglieder nicht aus einem einzigen sozialen Milieu,sondern fand ihre Mitstreiter in allen gesellschaftlichen Schichten und unter allen Altersgruppen. Künstler waren unter ihren Mitgliedern, aber auch Wissenschaftler, Ärzte, Theologen, Politiker und Arbeiter. Sie verfassten und verbreiteten Flugblätter, sammelten Informationen über NS-Verbrechen und versuchten, Moskau über die Verhältnisse in Deutschland aufzuklären. Besonders der im Reichswirtschaftsministerium tätige Arvid Harnack und Harro Schulz Boysen, der in Görings Luftfahrtministerium arbeitete, lieferten wertvolle Erkenntnisse an den sowjetischen Geheimdienst NKWD.
Durch Verbindungen ins Ausland entstanden weitere Widerstandsgruppen in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz. Durch diese Kreise konnte sich der NKWD in den ersten Kriegsjahren ein genaues Bild von den Verhältnissen machen, die im deutsch besetzten Teil Europas herrschten.
Im Herbst 1940 wollte die sowjetische Botschaft die Kontakte zur „Roten Kapelle“ intensivieren und die Arbeit der einzelnen Gruppen koordinieren. Der sowjetische Geheimdienst stellte zwei Funkgeräte zur Verfügung, doch die funktechnische Verbindung zur NKWD-Zentrale in Moskau kam nicht zustande. Die probeweise gesendeten Funksignale brachten die Abwehr auf die Spur der Widerstandsgruppen. Zusammen mit der Gestapo verhaftete der Militärgeheimdienst zwischen August 1942 und März 1943 126 Personen aus dem Umkreis der „Roten Kapelle“. Arvid Harnack gehörte zu den ersten Opfern. Am 22. Dezember 1942 wurde er hingerichtet. 48 weitere Mitglieder des pro-sowjetischen Widerstandes wurden in den Jahren 1942 und 1943 von der NS-Justiz ermordet.
Im November 1943 fuhren Hans Scholl und Alexander Schmorell nach Chemnitz, um sich mit Falk Harnack zu treffen. Harnack konnte ihnen aus eigener Erfahrung berichten, wie gefährlich es war, in Hitlers Deutschland eine Widerstandsgruppe aufzubauen. Die Münchener Studenten zeigten sich zwar beeindruckt, ließen sich aber nicht von dem Entschluss abbringen, ihre Widerstandstätigkeit weiter auszudehnen. Harnack bot ihnen an, Verbindungen zu weiteren Widerstandskreisen herzustellen.
Zur gleichen Zeit fuhr Traute Lafrenz nach Hamburg. 2006 erzählte sie in einem Interview mit Sibylle Bassler davon:
„In Hamburg kannte ich eine Gruppe von Leuten, die dem Hitler-Regime absolut kritisch gegenüber eingestellt waren. Dazu gehörten unter anderem mein früherer Mitschüler Heinz Kucharski und Grete Rothe, die dann später, am 25. April 1945, im Gefängnis Leipzig-Mensdorf umgekommen ist. Ihnen brachte ich zwei der Flugblätter mit – das war ganz geheim. Ich weiß nicht, wie sie in diesem Kreis aufgenommen wurden, da ich ihnen nur die Flugschriften übergeben hatte. Ich traf immer wieder auf Menschen,
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