Die Weiße Rose
„Rundfunkverbrecher“ konnten sogar in ein Konzentrationslager kommen. Wer „Feindmeldungen“ weiterverbreitete undsich dadurch der „Zersetzung des Wehrwillens“ schuldig machte, musste mit der Todesstrafe rechnen.
Da das Schwarzhören zu den am häufigsten denunzierten „Verbrechen“ im NS-Staat gehörte, beließ es die Gestapo bei der ersten Anzeige in der Regel bei einer Verwarnung. Der Schreck über eine Vorladung in die örtliche Gestapo-Zentrale bewirkte, dass die meisten Schwarzhörer von nun an vorsichtiger bei ihren „Rundfunkverbrechen“ waren.
Wie die meisten NS-kritischen Deutschen hörte die Familie Scholl selbstverständlich ausländische Sender. Die Scholls schalteten meistens das deutschsprachige Programm der BBC ein, das als vergleichsweise objektiv galt und eine realistischere Darstellung der Kriegslage bot als die gleichgeschalteten NS-Medien.
In der Gerichtsverhandlung konnte man Robert Scholl die „Rundfunkverbrechen“ nicht nachweisen. Wegen seiner „zersetzenden“ Äußerung über Hitler wurde er allerdings zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Außerdem wurde ihm untersagt, weiter als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig zu sein.
Das Berufsverbot traf die Familie hart. Nach seiner vorzeitigen Entlassung aus dem Gefängnis musste Scholl eine wesentlich schlechter bezahlte Stelle als Buchhalter annehmen. Das niedrige Buchhaltergehalt reichte gerade zum Leben. Die Studiengebühren für Sophie konnten davon nicht bezahlt werden. Für Sophie Scholl war klar, dass sie ihr Studium nach dem Wintersemester nicht fortsetzen konnte.
Einige Ulmer NS-Parteigrößen hatten sich bei der Gerichtsverhandlung für Robert Scholl eingesetzt. Sie lobten seine überragende Fachkompetenz und seine großeberufliche Korrektheit. Scholl wurde deshalb erlaubt, die laufenden Aufträge seines Steuerbüros vom Gefängnis aus abarbeiten zu dürfen. Sein Freund Eugen Grimminger unterstützte ihn dabei und führte während seiner Abwesenheit das Steuerbüro weiter.
Der 1892 geborene Eugen Grimminger gehörte zu jenen stillen Helden, deren mutiges Wirken erst durch die Forschung der letzten Jahre gewürdigt wurde. 133 Der gläubige Katholik war ein enger Freund der Familie Scholl und wie Robert Scholl ein überzeugter Pazifist. Wegen seiner jüdischen Ehefrau wurde der Finanzfach-mann 1935, also nach der Verkündung der Nürnberger Gesetze, aus dem Prüfdienst der Württembergischen Raiffeisengenossenschaften entlassen.
Nachdem er seine Frau sicher in die Schweiz gebracht hatte, reichte er die Scheidung ein. Er hätte sonst nicht als vereidigter Buchprüfer in Stuttgart arbeiten können. Neben seiner Frau half er auch anderen verfolgten Juden bei ihrer Flucht über die Schweizer Grenze.
Im November 1942 weihten ihn Scholl und Schmorell in die Arbeit des Weiße-Rose-Kreises ein. Grimminger erklärte sich sofort zur Unterstützung bereit. Mit seinen Zuwendungen wollte er helfen, „den Krieg zu verkürzen“. 134 Erst seine großzügigen Geld- und Sachspenden haben die spätere Ausweitung der Flugblattaktion ermöglicht.
Auch Traute Lafrenz half mit, die Altaufträge zu erledigen. In der Familie Scholl war man dankbar, dass die ehemalige Freundin von Hans bei der Arbeit einsprang.
Sophie konnte diesmal nicht mitarbeiten. Im August und September 1942 musste sie erneut Kriegshilfsdienst leisten. Die langen Arbeitstage und die ungewohnte manuelle Arbeit in einem Ulmer Metallbetrieb erschöpften sie. Ihrer Freundin Lisa Remppis klagte sie:
„Meinen Fabrikdienst finde ich entsetzlich. Diese geist- und leblose Arbeit, dieser reine Mechanismus, dieses winzige Stückchen Teilarbeit, deren ganzes uns unbekannt ist, deren Zweck mir schrecklich ist, sie greift nicht nur körperlich an, sondern vor allem seelisch.“ 135
Sie war glücklich, als diese Zeit endlich vorüber war. Ende Oktober 1942 kamen Hans und seine Freunde vom Fronteinsatz zurück. Die beiden Geschwister suchten sich eine gemeinsame Wohnung, um Mietkosten zu sparen. In der Franz-Josef-Straße 13 wurden sie fündig. In dieser Münchener Wohnung entstanden die letzten beiden Flugblätter.
Nach ihrer Rückkehr von der Ostfront nahmen Hans Scholl und seine Freunde wieder ihr studentisches Leben auf. Auch in ihren letzten klinischen Semestern nahmen sie weiter Fechtunterricht, gingen gemeinsam Skifahren und Reiten.
Noch zu Beginn des vierten Kriegsjahres fanden in München fast täglich Musikaufführungen statt. Scholl und Schmorell
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