Die Weiße Rose
völligen Änderung in meiner Einstellung gab die Einberufung der Studentenversammlung durch Gauleiter Giesler im Kongresssaal des Deutschen Museums. Ich empfand es als ein schlechthin undiskutierbares Vorgehen gegen deutsche Frontstudenten, dass ihnen zugemutet wurde, sich vor Betreten der Versammlung abstempeln zu lassen mit der Drohung, dass, wer nicht abgestempelt sei, im folgenden Semester an keiner deutschen Universität inskribiert werde. Ich sehe nach wie vor in dieser Maßnahme des Gauleiters nicht nur eine ungeheure Verachtung des deutschen Studenten, und der deutschen Bildung, sondern einen unmittelbaren Angriff auf die deutsche Armee [...] Mir scheint diese Anmaßung noch weit schwerer Unruhe stiftend gewirkt zu haben, als die Beleidigung der Studentinnen durch den Studentenführer und leider durch den Herrn Gauleiter [...] Ich nahm mir fest vor, jetzt einmal aus der Reserve herauszugehen und auf irgend eine Weise nicht einem Publikum, sondern den maßgebenden Stellen der Partei Kunde zu geben, wie man im Volk, in der deutschen Studenten- und Professorenschaft über diese Schritte gegen persönliche Ehre und Freiheit denkt. In diesem Augenblick stieg in mir erst der Gedanke auf, die Flugblattaktion Scholl’s hiezu zu benützen.“ 143
Anfang Februar war Falk Harnack in München, um Zeit mit der Lilo Berndl-Ramdohr zu verbringen. Die Jugendfreundin war seine große Liebe. Er wollte der jungen Witwe einen Heiratsantrag machen. Harnack nutzte die Zeit in München allerdings auch dazu, um sich mit Scholl, Schmorell und Prof. Huber zu treffen. Sie wollten über Zukunftsperspektiven nach dem Fall des Nationalsozialismus diskutieren und weitere Widerstandsaktionen planen. Huber war von den national-bolschewistischen Ideen Harnacks wenig begeistert. Vor allen Dingen lehnte der konservative Professor die von der Roten Kapelle vertretene Forderung nach einer Verstaatlichung der Großindustrie ab. Huber weigerte sich, im Weiße-Rose-Kreis mitzuarbeiten, solange der sächsische Dramaturg in München war. Da er wieder nach Chemnitz musste, vereinbarte Harnack für den 25. Februar ein weiteres Treffen mit Scholl. Bis dahin wollte er seinen Vetter, den bekannten Theologen und Hitlergegner Dietrich Bonhoeffer, über den Weiße-Rose-Kreis informieren.
Am 13. Januar 1943 war es während der 470-Jahrfeier der Universität München zu dem im Eingangskapitel beschriebenen Vorfall gekommen. In einer Schmährede hatte der Münchener Gauleiter Giesler die Studentinnen der Hochschule beleidigt, woraufhin es zu Tumulten gekommen war, die nur mühsam von den Behörden unterdrückt werden konnten.
Der Weiße-Rose-Kreis beschloss gut vier Wochen später, auf diese Ereignisse und auf die Katastrophe von Stalingrad mit einem neuen Flugblatt zu reagieren. Um eine größtmögliche Massenwirkung zu erzielen, baten die Studenten den in diesen Dingen erfahrenen Prof. Huber, einen Text für das neue Flugblatt zu verfassen. Bei derSchlussredaktion des Manuskriptes kam es allerdings zum Streit. Die pazifistisch eingestellten Studenten Scholl und Schmorell weigerten sich, einen Passus aufzunehmen, in dem der national-konservative Prof. Huber die deutschen Studenten auffordern wollte, sich „unserer herrlichen Wehrmacht“ zu unterstellen.
Für Scholl und Schmorell stand der Aufruf zum studentischen Widerstand im Vordergrund. Im Angesicht der Niederlage von Stalingrad, die mit dem Untergang von Napoleons Großer Armee im Winter 1812 verglichen wird, sollte die akademische Jugend sich nicht mehr länger bevormunden und demütigen lassen, sondern endlich aufstehen und wie im Jahre 1813 die Unterdrücker hinwegfegen.
Das neue Flugblatt musste in zwei Auflagen hergestellt werden, weil die Matrize riss. Insgesamt wurden etwa 3000 Exemplare produziert. Scholl, Schmorell und Graf waren nun unvorsichtiger. Es wurden zwar wieder Etliche mit der Post versandt, die Studenten fingen nun aber an, die Flugblätter auch nachts in der Stadt zu verteilen. Der Erfolg ihrer nächtlichen „Schmieraktion“ hatte sie möglicherweise zu selbstsicher gemacht.
Man muss sich fragen, wie die Studenten mit dem gewaltigen Pensum fertig wurden, das sie sich auferlegt hatten. Zu einem anstrengenden Studium kamen bei Scholl und Schmorell vielfältige Freizeitaktivitäten dazu. Dann noch die anstrengende Widerstandsarbeit, die sie um den Schlaf brachte, die nächtelangen Diskussionen, das beschwerliche Vervielfältigen der Flugblätter, das Schreiben und Frankieren
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