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Die Weiße Rose

Die Weiße Rose

Titel: Die Weiße Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Scholl
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seit einiger Zeit zusammen in zwei großen Zimmern. Ihre Vermieterin war meist auf dem Land, weil sie sich vor den Bombern fürchtete, die Nacht für Nacht über München kreisten. Sophie hatte von daheim ein Paket erhalten mit Äpfeln, Butter, einer großen Dose Marmelade, einem Riesenstück Kranzbrot und sogar Plätzchen. Welcher Reichtum in dieser ausgehungerten Zeit – das gemeinsame Abendbrot sollte diesmal ein Fest werden. Sophie wartete und wartete. Sie war fröhlich wie schon lange nicht mehr. Den Tisch hatte sie gedeckt, und das Teewasser fing an zu sprudeln.
    Es war dunkel geworden. Und keine Spur von Hans. Sophies freudige Erwartung wich einer steigenden Ungeduld. Sie hätte so gerne bei allen Freunden herumtelefoniert, um zu erfahren, wo er war. Aber das ging nicht. Vielleicht überwachte die Gestapo das Telefon. Sophie ging an ihren Schreibtisch. Sie wollte wenigstens versuchen, ein wenig zu zeichnen. Lange schon war sie nicht mehr dazu gekommen. Zum letztenmal mit Alex im vergangenen Sommer. Aber diese entsetzliche Zeit erstickte ja alles, was nicht bloßer Existenzkampf war. Ein Manuskript lag auf ihrem Tisch, ein Märchen, das sie sich früher als Kinder einmal ausgedacht hatten, und das nun ihre Schwester für sie aufgeschrieben hatte, weil Sophie so gerne ein richtiges Bilderbuch machen wollte. Ach nein, zeichnen konnte sie jetzt auch nicht, das Warten und die Sorge fraßen ihre Phantasie ganz auf. Warum kam Hans nicht?
    Woran sie auch dachte, es gab keinen Ausweg. Die ganze Welt lag unter einem Nebel von Traurigkeit. Konnte je wieder die Sonne durchdringen? Das Gesicht der Mutter fiel ihr ein. Zuweilen hatte es einen Zug von Schmerz um die Augen und um den Mund, für den es keine Worte gab. Mein Gott – und so Tausende und aber Tausende von Müttern …
    Damals schrieb Sophie in ihr kleines Tagebuch: »Viele Menschen glauben von unserer Zeit, daß sie die letzte sei. Alle die schrecklichen Zeichen könnten es glauben machen. Aber ist dieser Glaube nicht von nebensächlicher Bedeutung? Denn muß nicht jeder Mensch, einerlei in welcher Zeit er lebt, dauernd damit rechnen, im nächsten Augenblick von Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden? Weiß ich denn, ob ich morgen früh noch lebe? Eine Bombe könnte uns heute nacht alle vernichten. Und dann wäre meine Schuld nicht kleiner, als wenn ich mit der Erde und den Sternen zusammen untergehen würde. – Ich kann es nicht verstehen, wie heute ›fromme‹ Leute fürchten um die Existenz Gottes, weil die Menschen seine Spuren mit Schwert und schändlichen Taten verfolgen. Als habe Gott nicht die Macht (ich spüre, wie alles in seiner Hand liegt), die
Macht.
Fürchten bloß muß man um die Existenz der Menschen, weil sie sich von ihm abwenden, der ihr Leben ist.«
    In diesen Wochen hatte die Schlacht um Stalingrad ihren Höhepunkt erreicht. Tausende junger Menschen waren in den erbarmungslosen Kessel des Todes getrieben und mußten erfrieren, verhungern, verbluten. Sophie sah die müden Gesichter der Menschen in den überfüllten Zügen vor sich, über schlafende blasse Kinder gebeugt, die aus dem Rheinland und den großen Städten des Nordens flohen … Baden und schlafen hatte Thomas von Aquin als Mittel gegen Traurigkeit empfohlen. Schlafen, ja, das wollte sie jetzt. Ganz, ganz tief. Wann hatte sie das letztemal richtig ausgeschlafen?
    Sie erwachte an einem vergnügten, unterdrückten Lachen und an Schritten im Flur. Endlich war Hans zurück. »Wir haben eine großartige Überraschung für dich. Wenn du morgen durch die Ludwigstraße gehst, wirst du ungefähr siebzigmal die Worte ›Nieder mit Hitler‹ passieren müssen.« »Und mit Friedensfarbe, die kriegen sie so schnell nicht wieder runter«, sagte Alex, der schmunzelnd mit Hans ins Zimmer trat. Hinter ihm erschien Willi. Er stellte schweigend eine Flasche Wein auf den Tisch. Nun konnte das Fest doch noch stattfinden. Und während die durchfrorenen Studenten sich wärmten, erzählten sie von dem kühnen Streich der Nacht.
    Am andern Morgen ging Sophie ein wenig früher zur Universität als sonst. Sie machte einen Umweg und ging durch die ganze Ludwigstraße. Da stand es endlich, groß und deutlich: ›Nieder mit Hitler – Nieder mit Hitler …‹ Als sie zur Universität kam, sah sie über dem Eingang in derselben Farbe: ›Freiheit‹. Zwei Frauen waren mit Bürste und Sand beschäftigt, das Wort wieder auszutilgen. »Lassen Sie es stehen«, sagte Sophie, »das soll man doch lesen, dazu

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