Die Weiße Rose
wurde es hingeschrieben.« Die Frauen sahen sie kopfschüttelnd an. »Nix verstehen.« Es waren zwei Russinnen, die man zur Zwangsarbeit nach Deutschland geholt hatte.
Während man wütend und mühsam die Ludwigstraße wieder von dem verirrten Freiheitsruf reinigte, war der Funken nach Berlin übergesprungen. Ein Medizinstudent, der mit Hans befreundet war, hatte es übernommen, dort ebenfalls eine Widerstandszelle zu gründen und die in München entworfenen Flugblätter zu vervielfältigen und weiterzuverbreiten.
Willi Graf hatte den Kontakt zu Freiburger Studenten hergestellt, die sich zum Handeln entschlossen hatten und bereit waren, mit dem Münchner Kreis zusammenzuarbeiten.
Später hatte eine Studentin, Traute Lafrenz, ein Flugblatt nach Hamburg gebracht, und auch dort fand sich ein kleiner Kreis von Studenten, die es aufgriffen und weiterverbreiteten.
So, dachten Hans und seine Freunde, sollte eine Zelle nach der andern in den großen Städten entstehen, von denen aus der Geist des Widerstandes sich nach allen Seiten verbreiten sollte.
Schon kurz nach der Rückkehr von der Ostfront, im November 1942 , trafen sich Hans Scholl und Alexander Schmorell mit Falk Harnack, dem Bruder von Arvid Harnack von der Widerstandsorganisation Harnack/Schulze-Boysen, die einem Massaker des Volksgerichtshofs zum Opfer fiel. Bekannt geworden war diese Gruppe unter dem Suchnamen der Gestapo »Rote Kapelle«. Das Treffen der beiden mit Falk Harnack sollte die Verbindung zu einer zentralen Stelle der Widerstandsbewegung in Berlin einleiten. Dabei entwickelte Hans den Plan, an allen deutschen Universitäten illegale studentische Zellen zu errichten, die schlagartig übereinstimmende Flugblattaktionen ausführen sollten. Falk Harnack übernahm es, Hans und Alex am 25 . Februar 1943 mit den Brüdern Klaus und Dietrich Bonhoeffer in Berlin zusammenzubringen. Aber Hans war zu diesem Termin schon tot, Alex auf der Flucht.
Noch immer versuchte man die Spuren der Straßenaufschriften auszumerzen; schließlich mußte man sie überkleben. Aber Professor Huber war schon dabei, ein neues Flugblatt zu entwerfen, das diesmal vor allem an die Studenten gerichtet sein sollte.
Während er und Hans noch darum rangen, dem Blatt alle Trauer und Empörung des unterdrückten Deutschland einzuhauchen, erhielt Hans eine Warnung, daß die Gestapo ihm auf der Spur sei und daß er in den nächsten Tagen mit seiner Verhaftung rechnen müsse. Hans war geneigt, diese undurchsichtige Information von sich zu schütteln. Vielleicht versuchten Menschen, die es gut mit ihm meinten, ihn auf diese Weise von seinem Tun abzubringen. Aber gerade die Halbheit und Undurchsichtigkeit der Sache stürzte ihn in brennende Zweifel.
Sollte er nicht dies ganze schwere Leben in Deutschland mit der ständigen Bedrohung hinter sich werfen und in ein freies Land, in die Schweiz, fliehen? Es sollte für ihn, den Bergkundigen und zähen Sportsmann, kein Problem sein, illegal über die Grenze zu entkommen. Hatte er nicht an der Front Situationen genug erlebt, in denen seine Kaltblütigkeit und seine Geistesgegenwart ihn gerettet hatten?
Was aber würde dann mit seinen Freunden, mit seinen Angehörigen geschehen? Seine Flucht würde sie sofort in Verdacht bringen, und dann könnte er von der freien Schweiz aus zusehen, wie sie vor den Volksgerichtshof und in die KZ ’s geschleppt wurden. Niemals könnte er das ertragen. Er war mit hundert Fäden hier verwoben, und das teuflische System war so gut eingerichtet, daß er hundert Menschenleben aufs Spiel setzte, wenn er selbst sich entzog. Er allein mußte die Verantwortung übernehmen. Er mußte hierbleiben, um den Ring des Unheils möglichst eng zu halten und, wenn es sich entladen sollte, das Ganze auf sich selbst zu nehmen.
In den folgenden Tagen ging Hans mit doppeltem Eifer an die Arbeit. Nacht für Nacht verbrachte er mit seinen Freunden und Sophie im Keller des Ateliers am Vervielfältigungsapparat. Die Trauer und Erschütterung um Stalingrad durften nicht im grauen, gleichgültigen Trott des Alltags untergehen, ehe nicht ein Zeichen dafür gegeben war, daß die Deutschen nicht alle gewillt waren, diesen mörderischen Krieg blindlings hinzunehmen.
An einem sonnigen Donnerstag, es war der 18 . Februar 1943 , war die Arbeit so weit gediehen, daß Hans und Sophie, ehe sie zur Universität gingen, noch einen Koffer mit Flugblättern füllen konnten. Sie waren beide vergnügt und guten Muts, als sie sich mit dem
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