Die Weiße Rose
Atmosphäre entstand. Da alle ihre Habe bei sich hatten, hatten wir genug zu rauchen, alle rauchten in tiefen Zügen. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Hinaus an die Peripherie von München ging es: nach München-Stadelheim.
Nach ca. 25 Minuten stoppte der Wagen, man hörte die großen Gefängnistore kreischen, der Wagen fuhr in den Hof des Strafgefängnisses München-Stadelheim. Die Tür öffnete sich und wir wurden in den großen Empfangsraum des Gefängnisses geführt. Dort stand ein Justizinspektor mit der Strafliste in der Hand und sortierte die einzelnen wie Waren in einem Kaufhaus, jeden nach seiner Strafkategorie.
»Todesstrafe rechts in die Ecke, Zuchthaus links in die Ecke, Gefängnis auf die andere Seite.« Dann stand ich allein im Raum. Er wandte sich zu mir und sagte: »Sie gehen in die Ecke zu den Todeskandidaten.« Ein Justizwachtmeister trat vor uns und die Todeskandidaten marschierten los.
Der Abschied ist nicht zu beschreiben. Dies »Lebewohl« von allen Fünfzehn wird man nie vergessen können.
Dann ging der Weg durch endlose Korridore, die hellerleuchtet waren, um viele Ecken herum, bis wir vor einer schweren eisenbeschlagenen Tür standen, die aufgeschlossen wurde. Wir wußten, es ist das Todeshaus. Wir traten in diesen Korridor ein. Links und rechts an den Zellentüren hingen schwarze Täfelchen mit weißer Aufschrift: TU . Todesurteil. Vor den Zellen lagen Kleiderpakete. Die Delinquenten mußten nackt schlafen, gefesselt.
Ich drückte Prof. Huber die Hand. Was sollte man sagen. Viel hatte man auf dem Herzen, ohne jedoch das rechte Wort zu finden. Es war zu schwer. Ich sagte ihm: »Wir werden immer an Euch denken. Es war nicht vergeblich.« Prof. Huber sagte zu mir: »Hoffentlich kommen Sie bald heraus, Sie müssen viel mitgemacht haben, und Sie wissen, was Sie dann zu tun haben.«
Dann kam der Abschied von Alexander Schmorell, mit dem mich eine Freundschaft verband. In seiner jünglingshaften Art sagte er nur noch: »Grüße Lilo recht herzlich von mir, ich habe viel an sie gedacht.« Wir gaben uns fest die Hand.
Dann kam der Abschied von Willi Graf. Ehe wir aber den Mund auftun konnten, waren schon die Gefängnisbeamten zwischen uns, zogen uns auseinander. Ich kam in die Zelle, hinter mir wurde abgeschlossen. Ich war allein. Der Kopf dröhnte. Nach kurzer Zeit wurde die kleine Klappe geöffnet und herein guckte mit einer gleichmütigen Miene ein Gefängnisbeamter: »Auch Todesurteil?« »Nein«, sagte ich, »ich komme zur Gestapo zurück.« »Na, viel Vergnügen.« Die Klappe war wieder zu.
Die ganze Nacht ging ich in der Zelle auf und ab, rastlos an die Freunde denkend, die in den Nebenzellen untergebracht waren. Bruder, Schwägerin, Freunde, die schon durch den Henker umgebracht waren, standen lebendig vor mir. Die Nacht zog sich endlos hin und das überreizte Gehirn glaubte jede Minute das Fallbeil des Henkers zu hören. Waren doch die Geschwister Scholl und Probst kurz nach ihrer Verhandlung hingerichtet worden.
Am nächsten Morgen um 11 Uhr wurde ich herausgeholt und zur Gestapo in die Briennerstraße gebracht. Quälende Ungewißheit: Freiheit oder Konzentrationslager oder Transport nach Berlin zu den noch immer laufenden Prozessen der »Roten Kapelle«? Mittags um 2 Uhr kamen zwei Gestapobeamte auf mich zu und erklärten, die Entscheidung sei gefallen, ich sei aus der Haft entlassen und habe sofort zum Militär zurückzukehren.
Diese Entlassung erscheint einem naiven Menschen kaum glaubhaft, aber sie war Taktik der Gestapo, wie die Katze die Maus aus den Fängen läßt, um sie nach einer gewissen Zeit wieder einzufangen. Man wollte einfach feststellen, was für Verbindungen ich nach diesem Prozeß wieder aufnehmen würde.
Zwei Tage später kehrte ich zu meinem Ersatztruppenteil zurück. Im August kam ich mit einer neuen Einheit nach Athen, und am 20 . Dezember 1943 erreichte die Kompanie mein persönliches Vernichtungsurteil von Himmler. Im letzten Moment gelang es mir, auf dem Flugplatz Athen-Tatoi von der bereitstehenden Maschine zu flüchten und den antifaschistischen Kampf in der Folgezeit in Athen und in den griechischen Bergen gemeinsam mit den griechischen Freiheitskämpfern fortzusetzen.
1947
Elisabeth Hartnagel, geb. Scholl, Schwester von Hans und Sophie Scholl
Ich war ca. zehn Tage von Ende Januar bis zum 5 . Februar 1943 in München bei Hans und Sophie in der Franz-Joseph-Straße 13 zu Gast. Während meines Aufenthaltes konnte ich keine Spur der
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