Die Weiße Rose
Aktionen meiner Geschwister wahrnehmen. Ich erbot mich, die Wohnung der beiden einer gründlichen Frühjahrsreinigung mit Räumaktion zu unterziehen, wozu wir uns zwei Tage Zeit nahmen. Auch dabei konnte ich keinerlei Gegenstände entdecken, die Verdacht erregt hätten. Unverständlich war mir Sophies Aufregung, als Alex einmal einen Militärfahrschein aus Saarbrücken hatte liegen lassen. Sie war aufgebracht über diese »Unvorsichtigkeit«.
Ein Russenkittel von Alex Schmorell hing in der Wohnung. Sophie sagte damals halb im Scherz: »Den zieht er an, wenn er ab und zu mit russischen Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeitern in einen Kellerraum geht, um dort russische Tänze zu tanzen. Das gibt ihm das Gefühl, in Rußland zu sein.« Dieser Russenkittel war unter den Sachen, die uns nach dem Tode meiner Geschwister durch Traute Lafrenz nach Ulm gesandt wurden. Ich gab ihn Frau Wertheimer, einer früheren Wirtin von Hans, und bat sie, ihn zu Vater Schmorell zu bringen.
Einmal kam Christl Probst auf der Durchfahrt durch München zu einem kurzen Aufenthalt zu uns. Ich war beeindruckt, daß er trotz eines Aufenthalts von nur eineinhalb Stunden die Uniform auszog und Zivilkleidung anlegte. Er zog sich sofort mit Hans in dessen Zimmer zurück. Anschließend tranken wir zusammen Tee und sprachen über Christls Frau, die nach der Geburt des dritten Kindes mit Wochenbettfieber in einer Klinik lag.
Deutlich erinnere ich mich an folgende Geschichte, deren Hintergründe mir erst später klar wurden:
An einem Abend ging Hans mit Alex Schmorell weg, »in die Frauenklinik«, wie sie sagten. Kurz darauf erschien Willi Graf in der Wohnung. Als ich ihm sagte, die beiden seien zur Frauenklinik, lachte er und bemerkte, die würden ohne ihn nicht dorthin gehen. Sophie machte mir an diesem Abend einen nervösen Eindruck. Wir machten einen Spaziergang im Englischen Garten. Sophie sagte während des Spaziergangs, man müsse etwas tun, zum Beispiel Maueranschriften machen. »Ich habe einen Bleistift in der Tasche«, sagte ich. Sophie: »Mit Teerfarben muß man sowas machen.« Ich: »Das ist aber wahnsinnig gefährlich.« Sophie, ablenkend: »Die Nacht ist des Freien Freund.« Als wir in der Wohnung zurück waren, rief Hans an und bat: »Besorgt eine Flasche Wein. Ich habe noch 50 RM in der Tasche gefunden.« Im Hause wohnte ein Schwarzhändler, bei dem man sich für besondere Gelegenheiten mal eine Flasche Wein erstand, zum Preis von 20 RM .
Hans, Alex und Willi Graf kamen kurz darauf in gelöster Stimmung in die Wohnung, und wir verbrachten noch einen entspannten und gemütlichen Abend.
Am nächsten Morgen begleitete ich Sophie und Hans in eine Vorlesung über Leibniz in die Uni. Neben dem Eingang der Universität stand eine große Ansammlung von Studenten und starrte an die Mauer. Als wir näherkamen, sahen wir an dieser Mauer in über 1 m großen Buchstaben in schwarzer Farbe das Wort FREIHEIT angeschrieben. Mehrere Putzfrauen waren emsig bemüht, diese Anschrift abzuschrubben.
Ein älterer Student sagte zu Sophie: »Diese Schweinehunde!« Hans drängte darauf, daß wir weitergingen, indem er sagte: »Wir wollen nicht auffallen.« Im Weggehen sagte Sophie leise zu mir: »Da können sie lange schrubben, das ist Teerfarbe.«
Die Vorlesungen von Professor Huber waren regelmäßig überfüllt, auch weil er keine Gelegenheit ausließ, analog zu seinem Stoff über Leibniz versteckte Angriffe auf die Nazi-Diktatur anzubringen. Solche Spitzen wurden mit brausendem Beifall quittiert, und ich hatte den Eindruck, daß die Masse der anwesenden Studenten auf diese Augenblicke geradezu gewartet hat.
Nach dieser Vorlesung trennten sich Hans, Alex und Willi Graf von Sophie und mir, um Professor Huber aufzusuchen.
Während meines Aufenthaltes am 4 . Februar 1943 las Theodor Haecker in einem Kreis von geladenen Freunden und Bekannten im Atelier Eickemeyer. Bei solchen Zusammenkünften wurde nichts über die Aktionen gesprochen, es sei denn die allgemeine Kritik am Regime, die man unter Gleichgesinnten wagen konnte. Die eigentliche Aktivität beschränkte sich offensichtlich auf die kleine Gruppe der sechs, die dies mit dem Leben bezahlen mußten, sowie auf einige wenige außerdem, die hinterher hohe Freiheitsstrafen erhielten.
Ich habe in Erinnerung, daß wir häufig Konzerte besuchten. Dabei trafen wir alle Freunde.
Was ich auch noch in lebhafter Erinnerung habe, war der umfangreiche Gästebetrieb, den Sophie mit ihren wenigen
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