Die weissen Feuer von Hongkong
unlösbarer Probleme. Um die wahre Wurzel der für diese Menschen hier tatsächlich entstehenden Schwierigkeiten zu vertuschen, erfanden Generationen von Zeitungsschreibern und Politikern, Romanciers und Dramatikern immer neue Theorien. Einer Mischehe wurde von vornherein die Zerrüttung geweissagt. Europäer und Asiaten seien keine Partner, die auf die Dauer miteinander auskommen könnten. Die aus einer solchen Verbindung hervorgehenden Kinder seien mit einer wahren Höllenlast von psychologischen Problemen und charakterlichen Absonderlichkeiten beladen, die ihnen das Leben zur Qual und sie selbst entweder zu bemitleidenswerten oder zu teuflisch entarteten Kreaturen machten. Diese Märchen waren in den langen Jahren der ausländischen Herrschaft nicht nur in Hongkong, sondern auch in allen anderen Kolonialgebieten auf hundert verschiedene Arten den Menschen eingeflüstert oder eingepeitscht worden, so daß die Betroffenen nicht selten selbst daran glaubten und jedes Ereignis in ihrem Leben nur noch vom Standpunkt dieser Pseudotheorien aus betrachteten.
Der Blick für die wahren Zusammenhänge war ihnen nie geöffnet worden, und sie begriffen nicht, daß eine Ehe zwischen Angehörigen zweier Rassen dort nicht gedeihen kann, wo es keine Rassengleichheit gibt.
Auch Dinah Lee und ihr reicher chinesischer Gemahl durchschauten das nicht. Vielleicht ahnten sie die Wahrheit sogar, scheuten aber vor den Konsequenzen zurück. Jedenfalls verfuhren sie nach einem alten und sicherlich achtbaren konfuzianischen Grundsatz, der da sagt: »Es ist besser, eine Kerze zu entzünden als der Dunkelheit zu fluchen.« Sie spendeten einen Teil ihres Reichtums, um da eine kleine Hilfe zu geben, wo die Geschichte eines Tages durchgreifend verändern und helfen wird.
Jene Stiftung verschafft einer gewissen Anzahl von Mischlingskindern die Möglichkeit, eine solide Bildung zu erwerben, ohne überheblichen Anpöbeleien ausgesetzt zu sein. Das ist zwar kein historisches Verdienst, wohl aber eine gutgemeinte Tat. Blickt man jedoch genauer hin, erkennt man leicht die Schwäche der Einrichtung; sie ist nur Kindern zugänglich, deren Eltern die hohen Gebühren aufbringen können. Fred Kolberg gehörte zu denen, die bereit gewesen waren, gute harte Dollars dafür zu zahlen, daß sein Sohn von den tüchtigen, ausgezeichnet ausgebildeten Angestellten des Dinah Lee House in Obhut genommen wurde.
Er stürmte ein paar Schritte vor Luise Lauffer durch das Portal des Internats. Der erstaunte Nachtportier erkannte ihn und verbeugte sich. »Wünsche Willkommen, Mister Kolberg!« Der Flieger schüttelte ihm flüchtig die Hand.
»Junger Mann wird schon schlafen.«
Kolberg winkte nur ab und sagte im Vorbeigehen: »Ich werde ihn wecken. Habe wenig Zeit.«
Der Portier blickte ihm schmunzelnd nach. Kolberg kam immer, wenn er in Hongkong zwischenlandete; das war verhältnismäßig oft. Er hatte fast nie viel Zeit. Im ersten Stockwerk öffnete der Pilot eine der Türen, nachdem er leicht angeklopft hatte. Es war dunkel in dem kleinen, zweckmäßig eingerichteten Raum, den zwei Jungen bewohnten. Als Kolberg das Licht anknipste, hoben beide verschlafen die Köpfe. Plötzlich sprang der eine mit einem lauten Jubelschrei aus dem Bett und lief auf den Besucher zu. »Paps, du bist da!« Er schlang seine Arme um Kolbergs Hals und schmiegte sich an ihn. Luise Lauffer tauchte in der Tür auf. Der Junge entdeckte sie und grüßte mit einem vergnügten »Hallo, Miß Lauffer!« Er war ein flinker Bursche mit lustigen, etwas schräg stehenden tiefdunkelbraunen Augen, die Kolberg immer an Tamiko erinnerten. Der schwarze Haarschopf war zerzaust. Der Vater strich ein paarmal ordnend darüber, dann gab er es auf.
«Zieh dir etwas an, Junge, kämm dir die Haare und komm nach unten«, sagte er. Der Junge flitzte auf die Tür zu, die in einen Duschraum führte.
Luise Lauffer drückte Kolberg verstohlen ein Päckchen in die Hand. Er sah sie fragend an, sie lächelte. »Man bringt immer etwas mit, wenn man seinen Sohn besucht.« Sie hatte ein paar Süßigkeiten gekauft, während Kolberg bei Brautmann war. Nun sagte sie etwas vorwurfsvoll: »Mir war klar, daß Sie das vergessen würden.«
Er legte das Päckchen auf den Nachttisch neben dem Bett seines Sohnes. »Sie sind eine geniale Frau! Wenn ich ...«
Die Frau wehrte leicht ab. »Ja, ich weiß. Wenn Sie mich früh genug kennengelernt hätten, dann hätten Sie mich geheiratet, nicht wahr?«
Er grinste verlegen. »Mit
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