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Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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Erinnerung in ihm aus. Das erste und einzige Mal, das Lydia bei ihm zu Hause gewesen war, hatte er ihr das gleiche Angebot gemacht. Damit sie nicht nach Düsseldorf zurückfahren musste. Sie hatte abgelehnt, und er war erleichtert gewesen.
    »Ich weiß nicht recht«, sagte er zögernd. Um keinen Preis wollte er Sonja vor den Kopf stoßen. Oder ihr Angebot falsch interpretieren.
    »Überleg es dir.« Sie stand auf und verschwand in Richtung Toilette.
    Er sah ihr hinterher. Sie trug einen engen Rock und eine ebenso knappe schwarze Bluse. Er war sich ziemlich sicher, dass er nicht auf der Couch landen würde, wenn er jetzt mit zu ihr ging. Und er war sich fast ebenso sicher, dass es genau das war, was sie wollte. Er wollte es auch. Seit sie an jenem Morgen im Krankenhaus an seinem Bett gestanden hatte, stellte er sich vor, mit ihr zu schlafen, mit seinen Händen über ihre weiße, weiche Haut zu streichen, in ihrem warmen, feuchten Körper zu versinken.
    Rasch drückte er die Schultern durch und orderte die Rechnung. Er würde nach Hause fahren und in seinem eigenen Bett schlafen. In gut sieben Stunden musste er schon wieder in der Festung sein. Konzentriert und ausgeschlafen. Das war er der kleinen Antonia schuldig.
    6
    Donnerstag, 6. Dezember
    Es war noch stockfinster, als Klaus Halverstett die Treppe zum Institut für Rechtsmedizin hinaufstieg. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend wappnete er sich innerlich gegen den bevorstehenden Anblick: der Leichnam eines Geschäftsmannes, oder, besser gesagt, das, was von ihm übrig war. Der Mann hatte sich von einer Fußgängerbrücke vor einen ICE gestürzt. Ein Routinefall, es gab keinerlei Ungereimtheiten. Er erfüllte lediglich eine Formalität, damit die Sache zu den Akten gelegt werden konnte. Der Tod eines Menschen, abstrahiert und reduziert auf ein paar Blätter Papier zwischen schmutzig gelben Pappdeckeln. Auf dem Treppenabsatz angekommen streckte er die Hand nach der Tür aus, die sich jedoch öffnete, noch bevor Halverstett sie berührte. Beinahe wäre er mit einer Gestalt zusammengestoßen, die eine graue Steppjacke über dem weißen Arztkittel trug. Maren Lahnstein.
    »Oh, hallo, guten Morgen«, stammelte er.
    »Morgen«, entgegnete sie knapp.
    »Auch schon so früh unterwegs?« Er blickte auf die Tasche in ihrer Hand.
    »Und selbst? Was macht dein Obdachloser?« Sie sah ihm nur kurz in die Augen und starrte dann auf einen Punkt hinter ihm in dem von Laternen spärlich erhellten Dämmerlicht des Universitätsgeländes.
    Halverstett zuckte mit den Achseln. »Ich musste den Fall abschließen. Es gab zu wenige Verdachtsmomente. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
    »Du solltest auf dein Gefühl hören«, sagte Maren Lahnstein leise und hastete die Treppe hinunter.
    Er brauchte eine Sekunde, bevor er reagieren konnte.
    »Wie geht es dir?«, rief er ihr hinterher.
    Sie stockte, blieb stehen und kam schließlich die Stufen wieder herauf, bis sie dicht neben ihm auf dem Treppenabsatz stand.
    »Nicht gut«, sagte sie langsam, betonte jedes Wort, wie bei jemandem, der die deutsche Sprache unzureichend beherrschte. »Es geht mir nicht gut.«
    »Das tut mir sehr leid«, erwiderte Halverstett. »Ich habe das alles nicht gewollt. Es sind Dinge geschehen …« Er brach ab. Alles, was ihm auf der Zunge lag, schmeckte schal und abgedroschen.
    »Das stimmt nicht, Klaus. Entscheidungen geschehen nicht. Jemand trifft sie. Es sind keine Vulkanausbrüche oder Wirbelstürme, die man nicht abwenden kann. Du hast eine Entscheidung getroffen. Bitte steh dazu und tu nicht so, als seist du ein Opfer widriger Umstände.«
    »Ich wollte doch nur …«
    »Lass es gut sein. Ich muss los.« Maren Lahnstein wandte sich ab und verschwand im Zwielicht.
    Halverstett blickte ihr hinterher, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Sie hatte recht. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Und in dem Augenblick hatte es sich richtig und gut angefühlt. Jetzt aber überhaupt nicht.
    Seit Maren Lahnstein vor zwei Jahren die Leitung der Düsseldorfer Rechtsmedizin übernommen hatte, hatte sich eine ganz besondere Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Auch wenn sie vollkommen platonisch geblieben war, hatten sie doch beide gespürt, dass es um mehr ging. Nie zuvor hatte Halverstett sich einer Frau so nahe gefühlt. Im vergangenen September hatte er sich von Veronika, seiner Ehefrau, getrennt. Er musste frei sein, um herauszufinden, welche Bedeutung die Beziehung zu Maren für ihn hatte. Und dann hatte er vor

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