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Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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würden sie einen Ausflug machen, vielleicht in den Aquazoo oder, wenn Nora Lust dazu hatte, zum Schlittenfahren in die Eifel oder ins Sauerland. Kerstin hatte im Radio gehört, dass dort viel Schnee lag. Egal was sie unternahmen, Hauptsache Nora kam ein bisschen auf andere Gedanken. Seit Tagen hatte sie die Wohnung nicht verlassen, und Kerstin hatte mehr als einmal gehört, wie sie in ihrem Zimmer weinte. Sie hätte ihrer Tochter gern die Last der Trauer abgenommen, zumindest einen Teil davon, doch das war unmöglich. Sie hatte selbst als Kind ihre Freundin Petra bei einem Autounfall verloren und erinnerte sich gut an dieses Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit. An den Hass auf alle Erwachsenen, die das Grauen nicht hatten verhindern können, an die Angst, weil mit einem Schlag das Vertrauen weg war, dass ihre Eltern für jedes Problem eine Lösung parat hatten. Petras Tod hatte der Allmacht der Erwachsenen ein Ende bereitet. Kerstin reagierte mit Protest und Verweigerung, tat nichts mehr für die Schule und machte andere Dummheiten. Glücklicherweise brachten ihre Eltern viel Verständnis auf, und so überwand sie ihre Trauer und Wut irgendwann.
    Seufzend schloss Kerstin die Wohnungstür auf. Es war schon seltsam, wie sich ihr eigenes Schicksal bei ihrer Tochter wiederholte. Seltsam und traurig. Sie legte die Tüte mit den Brötchen auf dem Esstisch ab, schickte Tommy auf seine Decke und lief den Flur entlang zu Noras Zimmer.
    Vorsichtig klopfte sie. »Nora! Ich habe Brötchen mitgebracht!«
    Im Zimmer blieb alles still. Kerstin öffnete die Tür. Nora lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie reagierte nicht, als Kerstin eintrat.
    Kerstin setzte sich auf die Bettkante und nahm Noras Hand. »Komm, Liebes, wir frühstücken gemeinsam, und dann machen wir einen Ausflug. Du darfst dir aussuchen, wohin.«
    Nora schüttelte stumm den Kopf.
    Gestern hatte Kerstin ihr von ihrer Freundin Petra erzählt, in der Hoffnung, Nora damit ein bisschen zu trösten, doch offenbar hatte die Geschichte ihre Wirkung verfehlt. »Bitte, zieh dich an, Nora. Und wenn du nichts unternehmen willst, dann machen wir ein Spiel. Meinetwegen sogar Monopoly.«
    Kerstin mochte das Spiel nicht, sie zog Brettspiele vor, die Geschicklichkeit oder Kombinationsgabe erforderten, nicht pures Glück und eine Portion Skrupellosigkeit, doch sie wusste, dass Nora es liebte, die Geldscheine zu zählen und in wohl sortierten Stapeln vor sich auszubreiten.
    »Mama?«
    »Ja, Liebes?«
    »Kommen alle Mörder in die Hölle?«
    »Du lieber Himmel, wer hat dir denn das erzählt?« Kerstin strich ihrer Tochter über das Haar. »Sie müssen büßen für das, was sie getan haben. Aber der liebe Gott ist gütig, er verzeiht uns unsere Sünden, wenn wir aufrichtig bereuen.«
    Nora nickte. »Dieser Mann …«
    Kerstin verfluchte stumm ihren Sohn. Er hatte Nora gestern berichtet, dass ein Mann verhaftet worden war. Er hatte im Internet davon gelesen. »Wenn dieser Mann es getan hat, wird er dafür bestraft werden. Er kommt ins Gefängnis. Die Polizei wird dafür sorgen, dass er nie wieder einem Mädchen wehtun kann. So, und jetzt aufstehen! Marsch!« Sie kitzelte Nora am Bauch, die sich kringelte und leise gluckste. Für einen Augenblick war sie wieder das fröhliche Mädchen, und Kerstin schöpfte Hoffnung.
    Zeit, alles, was sie brauchten, war Zeit.
    Kerstin stand auf und ging zum Schrank. »Was möchtest du anziehen? Die rosa Cordhose und dazu die Bluse, die Papa dir geschenkt hat?« Sie öffnete die Schranktür und suchte nach der Hose. Der Wäschestapel kippte ihr entgegen, dahinter kam ein Schuhkarton zum Vorschein. »Nanu, was ist denn da drin? Hast du etwa doch noch ein Paar Winterstiefel, die dir passen? Dann müssten wir keine neuen kaufen.«
    »Nein, das sind meine Sachen!« Nora sprang aus dem Bett und riss ihr den Karton aus der Hand.
    Der Deckel löste sich, und der Inhalt verteilte sich auf dem Teppich; Schokoriegel, Haarspangen, zwei Lippenstifte, Wimperntusche, Lidschatten in verschiedenen Farben, mehrere Fläschchen Nagellack, Parfüm, ein kleiner Block mit Pferdebildern.
    Ungläubig starrte Kerstin auf den Boden. »Was in aller Welt machst du denn mit den Schminksachen, Nora? Wann hast du sie gekauft? Und von welchem Geld?«
    Nora stand mit gesenktem Kopf da, den leeren Karton noch in der Hand.
    »Nora! Ich möchte eine Antwort! Woher hast du diese Sachen?«
    »Sie gehören Toni und mir«, flüsterte Nora. »Aber ich habe sie aufbewahrt, weil es bei

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