Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Salomon kümmerte sich um die Anschlüsse.
»Habt fünf Minuten Geduld«, sagte er. »Es lohnt sich.«
Hackmann tauchte im Türrahmen auf. Er war der Letzte. »Was ist denn los? Habe ich was verpasst?«
»Noch nicht«, antwortete Meier. »Wir sind alle sehr gespannt. Vielleicht kriegen wir einen Film zu sehen.«
Lydia hatte die Besprechung, die eigentlich um sechs sein sollte, um zwei Stunden vorverlegt. Nach der Pressekonferenz war Klaus Halverstett in ihrem Büro aufgetaucht, hatte ihr ein rosafarbenes Mobiltelefon überreicht und ihr eine Geschichte von zwei Stadtstreichern erzählt, die sich um das Gerät gestritten hatten, sodass einer von ihnen gestürzt und zu Tode gekommen war. Dann hatte er ihr die Fotodateien auf dem Handy gezeigt, und sie hatte ihren Augen nicht getraut.
Salomon hatte inzwischen den Laptop an den Beamer angeschlossen. Alle starrten gebannt auf die Wand, an der bislang allerdings nur der Desktop des Computers zu sehen war.
Lydia klopfte mit ihrem Stift gegen den Kaffeebecher, um für Ruhe zu sorgen. Kurz berichtete sie über Halverstett und seinen Fall. Die Moko lauschte wortlos.
»Wir haben die Foto-Dateien von dem Handy auf diesen Laptop überspielt. Jetzt möchte ich sie euch zeigen.« Sie öffnete den Ordner und klickte das erste Bild an.
Gemurmel war zu hören, als Lydia die Fotos aus der Altstadt schnell durchlaufen ließ, doch sie ignorierte es. Dann kam das Foto von dem dunkelhaarigen Mädchen.
»Moment«, rief Ruth Wiechert. »Das ist Nora Diercke.«
»Das muss das Handy sein, das Antonia in der Stadt verloren hat«, sagte Erik Schmiedel.
»Genau.« Lydia klickte weiter. »Dann wisst ihr ja auch, wer das ist.«
Ein blondes Mädchen war mitten in der Bewegung aufgenommen worden, ein etwas unscharfes Bild, doch ihr Gesicht konnte man gut erkennen.
»Das ist Antonia Bruckmann«, sagte Wiechert. Sie hatte mal wieder den Arm gehoben, bevor sie sprach, wie eine brave Schülerin.
»Stimmt.« Lydia klickte weiter.
Das nächste Bild zeigte Nora und Toni. Dann noch einmal Nora. Und wieder Toni. Alle Bilder waren im Freien aufgenommen worden. Dem Hintergrund nach zu urteilen konnte es der Hofgarten sein. Oder ein anderer Park in Düsseldorf. Vielleicht waren die Aufnahmen an dem Tag entstanden, als Toni das Handy verloren hatte.
»Okay, wir haben es kapiert«, stieß Hackmann ungeduldig hervor. »Kommt da noch irgendwas Interessantes?«
»Warte es ab«, erwiderte Salomon.
»Halt! Moment!«, schrie Ruth Wiechert plötzlich. »Die Aufnahmen sind anscheinend alle am gleichen Tag entstanden, aber das kann gar nicht sein. Toni hat verschiedene Jacken an. Erst eine fliederfarbene. Und auf diesem Bild eine weiße.«
»Gut beobachtet«, sagte Köster.
»Aber die falschen Schlüsse gezogen«, ergänzte Lydia und klickte auf das nächste Bild. Es zeigte Toni. Zweimal. Mit zwei verschiedenen Jacken. Arm in Arm.
»Ach, du Scheiße!«, rief Meier. »Das Mädchen hat eine Doppelgängerin.«
»Das gibt es doch gar nicht«, murmelte Ruth Wiechert. »Die sehen ja total gleich aus.«
»Ist das auch echt?«, fragte Ingo Wirtz. »Keine Fotomontage?«
»Definitiv keine Montage«, erklärte Salomon. »Das haben wir bereits mit der Kriminaltechnik abgeklärt.«
»Ich Trottel«, rief Gerd Köster. »Warum habe ich nicht geschaltet!«
»Was meinst du?«, fragte Lydia.
»Ich hatte gestern einen Zettel auf dem Schreibtisch. Bei der Tageszeitung hatten sich wohl eine Reihe Leute beschwert, dass ein falsches Foto von dem toten Mädchen abgedruckt worden sei. Auch bei uns in der Leitstelle sind offenbar Beschwerdeanrufe eingegangen. Ich nehme an, die Meldungen sind bei mir gelandet, weil ich die Akte führe. Na ja, ich habe nachgesehen, welches Foto genommen wurde, abgeklärt, dass es sich sehr wohl um eins von Antonia Bruckmann handelt, und das auch an die Zeitung so weitergegeben. Heute sind weitere Anrufe eingegangen, aber ich habe mich noch nicht darum gekümmert.« Er schlug mit der Hand auf den Tisch. »Mist! Das hätte mir doch auffallen müssen!«
»Mach dir keinen Kopf, Gerd«, sagte Salomon. »Da hätte vermutlich keiner von uns zweimal drüber nachgedacht. Wie auch? Es gehen immer so viele Beschwerden und falsche Hinweise ein. Und wer denkt schon an so was.«
»Es ärgert mich trotzdem.«
»Mich ärgert was ganz anderes«, sagte Meier und deutete auf das Bild an der Wand. »Ey, Leute, wisst ihr, was das heißt? Wir können noch mal von vorn anfangen. Wir wissen gar nichts über
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