Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Antonia Bruckmann. Absolut nichts.«
»Na ja, ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht«, widersprach Lydia. »Ein paar Dinge wissen wir sehr wohl.« Sie zählte an den Fingern ab. »Erstens: Michael Bruckmann ist nicht Antonias leiblicher Vater. Zweitens: Antonia hatte eine mysteriöse neue Freundin, von der sie niemandem erzählt hat außer Nora. Ich denke, die Freundin sehen wir vor uns. Und den Grund für die Geheimniskrämerei ebenfalls. Drittens: Ich denke, wir können davon ausgehen, dass Antonias Doppelgängerin Leonie Schwarzbach heißt. Alle Indizien sprechen dafür. Zum Beispiel viertens: Olaf Schwarzbach hat die ganze Zeit verhindert, dass wir Leonie zu Gesicht bekommen, am Schluss hat er sogar alle Fotos aus dem Haus verschwinden lassen. Fünftens: Angeblich hat sich Antonia in letzter Zeit seltsam verhalten und sich nach ihrer Herkunft erkundigt. Kein Wunder, wenn ihr mich fragt.« Lydia sah ihre Kollegen auffordernd an. »Ich würde gern eure Ideen und Theorien hören.«
»Nicole Bruckmann hatte eine Affäre, das hat sie ja zugegeben«, sagte Erik Schmiedel. »Es dürfte wohl klar sein, mit wem. Oder?«
»Die Frau eines Uniprofessors aus Münster hatte was mit einem Handwerker aus Düsseldorf?«, fragte Ingo Wirtz skeptisch.
»Umzugsunternehmer«, verbesserte Schmiedel.
»Vielleicht wollte sie ja mal ’nen richtigen Kerl ranlassen«, meinte Hackmann. »Spricht definitiv für sie.«
Ruth Wiechert blitzte ihn an und öffnete den Mund.
Lydia kam ihr zuvor. »Könnten wir bitte sachlich bleiben? Wir haben keine Zeit für blöde Witze.«
Köster rückte seine Brille zurecht. »Also ich verstehe ja nicht viel davon, aber ich finde, keins der beiden Mädchen sieht Olaf Schwarzbach sonderlich ähnlich. Sie haben blonde Haare. Okay. Aber das ist es auch schon, oder? Ich erkenne da weder die große Nase noch die kleinen, dunklen Augen.«
»Das ist ein gefährliches Terrain«, meinte Wirtz. »Die Vererbung geht manchmal seltsame Wege.«
»Halten wir fest, dass die Ähnlichkeit zwischen Toni und Leonie ungewöhnlich groß ist«, sagte Lydia. »So groß, dass wir nachforschen müssen, ob mehr als eine Laune der Natur dahintersteckt.«
»Könnte ja auch was mit künstlicher Befruchtung zu tun haben«, schlug Wiechert vor. Sie schaute demonstrativ nicht in Hackmanns Richtung. »Vielleicht hatten beide den gleichen Spender.«
»Aber Leonie hat eine ältere Schwester«, wandte Köster ein. »Die Schwarzbachs brauchten keine künstliche Befruchtung, um Kinder zu zeugen.«
»Was wir nicht genau wissen«, sagte Salomon. Er machte sich eine Notiz. »Vielleicht sollten wir überprüfen, ob Svenja Schwarzbach eine leibliche Tochter war.«
»Was ist denn mit der Obduktion von Melanie Schwarzbach, Thomas?«, fragte Meier. »Irgendetwas Neues? Der Lahnstein ist nicht zufällig aufgefallen, dass die Frau noch nie ein Kind geboren hat, oder so was?«
Hackmann schob ein paar Blätter mit Notizen hin und her. Lydia hatte den Eindruck, dass er absichtlich Zeit schindete, um sich der Aufmerksamkeit aller sicher zu sein.
Doch schließlich antwortete er. »Davon hat sie jedenfalls nichts gesagt. Aber ich hake noch mal nach. Ansonsten gibt es leider nicht viel. Die toxikologischen Untersuchungen sind natürlich noch nicht abgeschlossen, aber bisher sieht es so aus, als sei sie tatsächlich an einem Tablettencocktail gestorben. Fragt sich nur, ob sie das Zeug freiwillig geschluckt hat. Die Hämatome an den Armen sind eindeutig kurz vor ihrem Tod entstanden. Die Lahnstein meint, jemand habe sie an den Handgelenken festgehalten. Die Wunde am Kopf stammt von dem Aufprall auf das Waschbecken. Leider ist nicht sicher, ob jemand nachgeholfen haben könnte, sie vielleicht absichtlich gegen das Becken gestoßen hat. Es fehlen eindeutige Hinweise, etwa Fingerabdrücke im Nacken. Weiter bin ich noch nicht. Den Ehemann konnte ich ja noch nicht wieder befragen, da er sich abgesetzt hat. Die Kriminaltechnik ist mit der Auswertung der Spuren am Fenster und auf dem Garagendach noch nicht fertig, aber ich bleibe dran.«
»Nichts Eindeutiges also«, fasste Köster zusammen. »Schade.«
»Schade?«, rief Ruth Wiechert. »Was hättest du denn gern? Einen hübschen Beziehungsmord?«
»Wiechert«, sagte Lydia. »Was ich eben gesagt habe, gilt für alle.«
»Ich vermute, dass irgendein Geheimnis aufgeflogen ist, weil die beiden Mädchen sich so ähnlich sehen«, sagte Wirtz. »Eine Affäre, was weiß ich. Und deshalb musste Antonia
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