Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen
und kochten zusammen, oder sie sassen in einem Stall und erzählten Geschichten. Heute herrscht ein Riesenkrach auf den Feldern, es werden immer grössere Felder gemäht, und Zeit zum Plaudern gibt es nicht. Die Maschinen helfen sehr, und doch muss alles schnell gehen. Der Hit ist der Föhn. Man trägt den Motor wie einen Rucksack auf dem Rücken, und ein Blasrohr fördert das Heu auf steilen Hängen zu Tale. Der stille Rechen wird nur noch für die Feinarbeit gebraucht. Der lärmende Föhn wühlt Insekten auf. Wir vergessen, dass wir die Natur für unser Überleben brauchen, und gehen schonungslos mit ihr um. Die Arbeiten scheinen jetzt leichter zu sein, und doch ist mehr Stress da denn je. Tausend Gesetze bestimmen die Arbeit der Bauern. Du musst so und so viel Hektar heuen, so und so viele Tiere haben, damit sie vom Staat oder Kanton unterstützt werden. Viele Leute schimpfen über diese Subventionen, und doch leben sie davon. Denn Milch und Fleisch geniessen auch die meisten Angestellten. Sie haben Ferien und freie Tage. Die Bauern nicht.
Obwohl ich keine Unterstützung erhalte, muss ich meine Tiere markieren. Ohne die entsprechenden Papiere kann ich sie nicht zum Metzger bringen. Die Landwirtschaft ist so kompliziert geworden. Alles ist Gesetz und Bürokram. Kein Wunder, dass es immer mehr Krankheiten bei Mensch und Tier gibt, psychische und physische. Wir haben unsere Erde ausgebeutet, verunstaltet und respektlos behandelt. Wegen dem Geld, dem Übel unserer Gesellschaft. Für Geld würden einige ihre Seele verkaufen. Oder ihr Trinkwasser.
Nun muss ich mich kämmen und zurechtmachen für den Laden. Eine flotte Erscheinung ist wünschenswert, ich habe es ja mit Menschen zu tun.
Einen Nachmittag frei. Oder doch nicht, ich räume auf, was zurückgeblieben ist. Nun ist der Nachmittag schon fast vorüber. Der Abend steht noch aus. Jetzt habe ich einen viel zu heissen Kräutertee gemacht und sollte wieder in den Stall. Die Schafe sollen warten und Treuia auch, bis der Tee trinkbar ist.
Emil und ich im Herbst. Wir gehören zum Weiler, sind beide sehr verschieden, und doch ist es ein Zusammenspiel, wenn wir da sind. Er holt bei mir die Milch, manchmal holt er auch die Ziegen, wenn ich nicht da bin zum Melken. Manchmal schimpfe ich mit ihm. Wie damals, als ich fast Krach bekam wegen Mara. Sie war jung und spielte mit den Kälbern. Ich brauchte meine ganze Energie, um Mara zu verstehen und ihr das Folgen beizubringen. Da stand unser guter Emil am Fenster und gab komische Tipps. Ich sagte, du hast keine Ahnung von Hunden, und deine Meinung ist nicht erwünscht. Er machte abrupt das Fenster zu. Wir hatten aber auch ganz lustige Momente.
Emil fütterte seine Tiere in Foppa – oberhalb Vanescha. Zelistin und ich waren bei den Ställen in Vanescha. Zelistin war immer der erste am Morgen. An einem Tag aber war kein Licht in seinem Stall, als ich zum Futtern ging. Zuerst ging ich zu seiner Hütte, alle Läden zu. Ich machte mich mit Steinen bemerkbar. Keine Reaktion. So gab ich den Kühen erstmal Heu. Danach ging ich wieder zu seiner Hütte. Ich stand gerade vor dem Fensterladen, als der Inhalt des Urintopfes aus dem Fenster floss. Ich hatte Glück, nicht getroffen zu werden. Ach, eine Erleichterung, Zelistin war aufgewacht! So ging ich zurück in den Stall und machte meine Arbeit. Er hatte mich nicht gesehen. Als Zelistin dann von der Hütte hinauflief, hatte er den Pullover verkehrt herum angezogen, war aber wohlauf. Er lachte und sagte, »jeu vai durmiu o.« – »Ich habe verschlafen.«
Ich träumte vor mich hin und dachte darüber nach, ob ich am nächsten Tag auf das Frunthorn sollte oder zum Tumpiv. Skitouren, zu denen ich eingeladen war. Auch Bilder von der heutigen Tour kamen hoch, die von Vanescha nach Blengias und von dort nach Zamuar geführt hatte. Nun, ich träumte in Gesellschaft, neben mir sass eine sehr liebe Frau und ein paar Stühle weiter zwei weitere Frauen. Plötzlich hörte ich eine sagen: »Träumst du von Vanescha?« Ich gab keine Antwort. Nochmals im Echo: »Träumst du von Vanescha?« Wieder gab ich keine Antwort. Meine Träume gehören mir und handeln nicht nur von Vanescha.
Am nächsten Tag zu fünft auf den Tumpiv, eine vierstündige Tour. Das letzte Stück sehr steil, und zum Gipfel muss man klettern. Beim Hinauflaufen hatte es starken Wind, aber – interessant – auf dem Gipfel war Windstille. Danach eine herrliche Abfahrt, und in Brigels gingen wir zum Kaffee. Skitouren verbinden, nach
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