Die Weiterbildungsluege
lieber beide Augen zu – samt Hühnerauge –, statt Tacheles
zu sprechen. Harmonie ist wichtiger als klare Worte. Und genau da liegt das Problem. Denn Personalentwicklung setzt Konfliktfreude
voraus. Der Vorgesetzte muss sich mit dem Mitarbeiter über dessen Leistung und Verhalten auseinandersetzen. Zum einen bevor
er jemanden zu einer Schulung schickt, zum anderen aber auch danach, wenn es um den Lerntransfer in die Praxis geht. Doch
die Vorgesetzten tun nichts dergleichen.
Hier fehlt es klar an sozialen Skills, meinte mir gegenüber eine Personalleiterin aus der Stahlindustrie. »Das sind Chefs,
die keine Lust haben, mit Mitarbeitern in den Dialog zu treten. Das Einzige, was die bei der Arbeit stört, sind die Menschen
drum herum.« Diese Vorgesetzten seien sicherlich fachlich sehr kompetent, aber nicht in der Lage, »gefahrenfrei mit den Mitarbeitern
zu kommunizieren«. Ähnliches berichtete auch der Bereichsleiter Personalentwicklung eines Anlagenbauunternehmens. Auch er
kennt die Chefs, die sich in fachlichen Themen zu Hause fühlen, aber nicht kommunikativ sind. Solche konfliktscheuen Vorgesetzten
wunderten sich dann, wenn es zwischen ihnen und den Mitarbeitern irgendwann knallt. »Da haben Leute fast acht Jahre zusammengearbeitet,
aber nicht miteinander darüber gesprochen, was sie geärgert hat.« Vorgesetzte wüssten zwar klar, was ihnen ein Dorn im |118| Auge ist, thematisierten es aber nicht deutlich. »Denen platzt dann irgendwann die Hutschnur. Aber vorher haben sie nie die
Verhaltensweisen gespiegelt, die sie gestört haben.«
Doch woher kommt es, dass in so vielen Unternehmen eine Kuschelkultur vorherrscht? Die Gründe lassen sich auf drei Faktoren
verdichten: Angst, zu freundschaftliche Beziehungen und Bequemlichkeit. Angst spielt dabei sicherlich die größte Rolle. Führungskräfte
fürchten, dass Mitarbeiter ihre Leistungen herunterschrauben oder gar das Unternehmen verlassen, wenn sie Klartext reden.
Besonders Leistungsträger will man nicht vergällen. Da wird lieber eine Weiterbildung mehr genehmigt als zu wenig. Vorgesetzte
haben auch Angst, ihr Gesicht zu verlieren, weil sie nicht überzeugen können. Leicht passiert es, dass der Chef in einen kommunikativen
Notstand gerät, weil der Mitarbeiter das argumentativ bessere Arsenal auffährt. Eine Personalentwicklerin aus dem Bereich
Bau- und Heimwerkermärkte sieht das Problem darin, dass der Mitarbeiter seinem Chef exzellent vorbereitet erklärt, warum eine
Fortbildung zwingend für die Erfüllung seines Jobs erforderlich ist. Im Kopf des Vorgesetzen ergibt sich angesichts dieser
rhetorischen Brillanz ein Vakuum, das sich etwa in den Worten ausdrückt: »Mist, der hat es so gut vorgebracht. Ich habe da
nichts logisch entgegenzusetzen.« Um nicht als Sturkopf dazustehen, der nur unbegründet sagen kann: »Nee, geht nicht«, wird
dann den vorgetragenen Weiterbildungsmaßnahmen zugestimmt.
Beispiele dazu gibt es zuhauf. So erzählte mir ein Personalentwickler aus dem Bereich Medizintechnik die Geschichte von einem
Marketingleiter, dem das Rückgrat fehlte. Drei seiner Mitarbeiter wollten bei dem teuersten deutschen Weiterbildungsanbieter
zu einem zweitägigen Präsentationsseminar gehen. Das Gespräch muss sich in etwa wie folgt zugetragen haben. Marketingleiter:
»2 000 Euro am Tag pro Person. Ist das nicht ein bisschen teuer? Da gibt es doch bei der IHK bestimmt auch schon was für 350
Euro«. Mitarbeiter: »Das kann schon sein. Aber die sind nicht so |119| gut. Wenn wir hier die Topleistungen bringen sollen, müssen wir zu einem Premium-Anbieter. Der Trainer hat Bücher geschrieben
und war immer wieder als Experte im Fernsehen zu sehen. Der Mann ist erstklassig.« Marketingleiter: »Das sagt ja nichts.«
Mitarbeiter: »Und ob das was sagt. Selbst die Kollegen von unserem Wettbewerb gehen dahin. Ich habe gerade neulich mit einem
gesprochen. Der hat gesagt, es sei ein Spitzenseminar gewesen. Da dürfen wir nicht zurückstehen.« Marketingleiter: »Dann lassen
Sie es uns doch so machen, dass einer hingeht und es den anderen hinterher beibringt.« Mitarbeiter: »Wie soll das denn gehen?
Es ist doch komplett etwas anderes, ob man ein Seminar mitmacht oder nur hinterher ein paar Handouts durchgeht. Und übrigens,
bei den Kollegen im Produktmanagement sind die Teilnahmegebühren auch kein Problem gewesen. Die waren erst neulich auf einem
ganz teuren Seminar auf der Wartburg.« Nach
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