Die Weiterbildungsluege
»Da sind wir nicht gut«, sagt der Leiter Personalentwicklung
eines Unternehmens für mechanische und elektronische Antriebe selbstkritisch.
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|115| Kapitel 5
Kuschelkultur
Lieber fortbilden als streiten
FEINSCHMECKEROASE leuchtet es über der Eingangstür. Marika Mohn ist begeistert. Und auch das Gebäude ist ganz nach ihrem Geschmack.
Klassizistischer Stil mit großzügig geschnittenen Fenstern. Manfred Fabris hält ihr galant die Tür auf. Das Restaurant wirkt
sehr einladend. Kerzenschein, Blumen auf den Tischen, dunkles Holz und elegantes Design sorgen für Gastlichkeit. »Wollen wir
uns da hinten in die Nische setzen?«, fragt er. Sie nickt, während ihr Blick neugierig durch den Raum gleitet. Traditionelle
Gerichte mit kreativem Pfiff soll es hier geben. Nachdem die beiden ihre Speisen ausgewählt haben, eröffnet Manfred Fabris
das Gespräch. Seine Stimme ist von leiser Bar-Jazz-Musik aus den Lautsprecherboxen untermalt. »Marika, wir wollen ja heute
über deine Performance sprechen und auch darüber, welche Weiterbildungen für dich anstehen könnten.« Für Marika ist es eine
vertraute Situation, in stilvollem Rahmen über ihre Leistungen der vergangenen Zeit zu sprechen. Die Mitarbeiterin eines Telekommunikations-Shops
ist froh, dass ihr Chef das Gespräch nicht im 20 Quadratmeter großen Ladengeschäft führt. Dort sind die Bedingungen dafür
nämlich alles andere als gut. Entweder wird man dauernd von Kunden gestört oder man muss sich in einen engen Lagerraum zurückziehen.
Als Sitzgelegenheiten gibt es da nur ein paar staubige Kisten.
Ein Mitarbeitergespräch im Restaurant oder Café zu führen ist |116| übliche Praxis, wenn keine geeigneten Büros oder Konferenzräume zur Verfügung stehen. Doch egal, ob im Restaurant oder im
Büro, die meisten Mitarbeitergespräche sind von Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre geprägt. Zu tief sitzt die Angst bei Vorgesetzten,
ihre Mitarbeiter durch klare Ansagen zu demotivieren, High Performer zu verlieren oder sich durch die Ablehnung von Fortbildungswünschen
unbeliebt zu machen. Ein schnuckeliges Restaurant lässt da erst recht keine harten Worte aufkommen. Denn stellen Sie sich
mal vor, unsere Mitarbeiterin bringt schlechte Verkaufsleistungen. Auch das letzte zweitägige Verkaufstraining hat keine Verbesserung
in den Zahlen gebracht. Nicht zu vergessen, dass sie häufig gegenüber Kunden genervt ist und morgens immer mal wieder zu spät
in den Shop kommt. »Ah, lecker. Da kommt das Steak. Schön medium. Mit Kräuterbutter.« Wo waren wir gerade stehen geblieben?
Soll man der Mitarbeiterin nun vor oder nach dem Dessert die gelb-rote Karte zeigen und ihr unmissverständlich klarmachen,
dass die Zusammenarbeit so nicht mehr tragbar ist?
»Also Manfred, das Essen schmeckt hervorragend. Du hast ein tolles Restaurant ausgesucht«, lobt Marika ihren Chef. »Übrigens,
ich habe da eine klasse Verkaufsschulung im Allgäu gefunden. Damit werde ich jetzt bestimmt meine Zahlen in den Griff bekommen.«
Manfred Fabris antwortet mit breitem Grinsen: »Schön, dass du dich so engagierst, um deine Verkaufszahlen nach vorne zu bringen.
Gute Idee. Ach übrigens, sieh mal zu, dass du in Zukunft morgens pünktlich da bist.«
Harmoniesüchtige Chefs sind der Grund, weshalb Schulungs und Entwicklungsmaßnahmen nicht ihr Geld wert sind. Sie missbrauchen
Weiterbildungen, weil ihnen die Argumente fehlen. Und weil sie fürchten, Konflikte selbst anzusprechen, versuchen sie diese
»Drecksarbeit« von anderen machen zu lassen. Sie schicken dazu ihre Mitarbeiter in ein teures Development-Center oder auf
ein Psycho-Seminar. Und das alles ist möglich, weil die zuständigen Personalentwickler zahnlose Papiertiger sind, mit denen
man alles machen kann.
|117| Konfliktvermeidung:
Piep-Piep-Piep – wir haben uns alle lieb
»Guildo hat euch lieb« – so sang einst Guildo Horn beim Eurovision Song Contest 1998. Mit diesem sinnfreien Liedchen belegte
er einen respektablen 7. Platz und schrieb damit deutsche Musikgeschichte. Doch der langhaarige Sänger mit dem kahlen Scheitel
legte damit auch den Grundstein für das inzwischen geflügelte Wort »Piep, Piep, Piep, wir haben uns alle lieb«. Kein anderer
Spruch wird so gern in deutschen Unternehmen zitiert, um eine »Kuschelkultur« zu beschreiben. Sie ist geprägt von einem freundlichen
und netten Miteinander. Es gibt kein böses Wort. Vorgesetzte drücken
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