Die Weiterbildungsluege
dieser Killer-Argumentation hat der Marketingleiter erschöpft die Segel gestrichen
und die Fortbildung genehmigt. Warum noch lange streiten, wenn es andere im Haus auch tun.
Andere Vorgesetzte haben leidvoll erfahren, dass sich plötzlich der Betriebsrat vor der Bürotür einfand, weil sich Mitarbeiter
ungerecht behandelt fühlten. Ich habe selbst erlebt, wie sich ein Betriebsrat schützend vor einen Mitarbeiter stellte und
um dessen Rechte auf Weiterbildung kämpfte wie Enten um dahingeworfene Brotkrumen. Der Vorgesetzte wusste zwar aus der Zusammenarbeit,
dass bei dem Mitarbeiter die natürlichen Grenzen erreicht waren, beugte sich aber dem Druck und stimmte einer entsprechenden
Maßnahme zu.
Konflikte auszutragen und auszuhalten wird auch dadurch erschwert, dass in Abteilungen oder im ganzen Unternehmen eine sehr
freundschaftliche Atmosphäre herrscht. Menschliche Wärme, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft sind hohe Werte. Man duzt sich,
unternimmt teilweise sogar private Aktivitäten. Der Chef ist mehr ein Kumpel als eine Autorität. »Wir sind hier wie eine große
Familie«, ist zu hören. Vorgesetzte, die dann auf Leistung |120| pochen und Mitarbeiter zu businessmäßig anpacken, sind schnell im Abseits. Dass der Chef rechnerisch kühl Entwicklungsbereiche
aus Kosten-Nutzen-Erwägungen beleuchtet und die Umsetzung von Maßnahmen einfordert und kontrolliert, passt nicht so recht
ins Bild.
Schließlich ist nicht zu vernachlässigen, dass Konfliktmanagement Zeit kostet und anstrengend ist. Und wie bereits im vergangenen
Kapitel erörtert, ist Zeit das knappste Gut einer Führungskraft. Man muss sich detailliert mit dem Mitarbeiter auseinandersetzen,
Fakten sammeln, Argumente zurechtlegen, viele Gespräche führen und dokumentieren. So viel Aufwand will überlegt sein. Eine
Führungskraft gestand mir: »Man muss sich angesichts des vollgestopften Arbeitsalltags sehr genau überlegen, wie viele Konflikte
man sich erlauben kann. Da lässt man es lieber laufen oder hofft auf einen Erkenntnisgewinn bei Schulungen.« Die Bequemlichkeit
siegt also.
Wenn es keine Grenzen gibt, wird es beliebig und sinnlos. Das ist besonders an Englisch- und EDV-Trainings sichtbar, wie hinter
vorgehaltener Hand zu hören ist. Sie werden dann gern gewährt, wenn der Mitarbeiter sich beschwert und sagt: »Jetzt bin ich
auch mal mit einer Fortbildung dran.« Für Englischtrainings gibt es immer eine gute Allroundbegründung. »Es ist gut, weil
wir immer internationaler werden.« Dabei ist von vornherein klar, dass vielleicht einmal in 100 Jahren ein Engländer, Amerikaner
oder Japaner anruft. Und dann sind sowieso alle gelernten Vokabeln weg – vor Schreck. Genauso sinnlos wird Geld bei EDV-Schulungen
verplempert. Da werden Mitarbeiter in Excel oder Power-Point geschult, ohne dass sie deren Funktionen groß bräuchten. Interessanterweise
lässt sich beobachten, dass es im wirklichen Bedarfsfall auch ohne zweitägige Schulung geht. Schnell ist ein kompetenter Kollege
gefunden, der einem das Nötigste beibringt. Stellt sich die Frage, wer dem Treiben Einhalt gebieten könnte. Von Amts wegen
doch eigentlich die Damen und Herren aus der Personalentwicklung.
|121| Wachsweich: Personalentwickler sind Papiertiger
Übrigens, da ich gerade über Personalentwickler spreche: Haben Sie schon einmal das Wort »Papiertiger« gehört? Denken Sie
jetzt nicht gleich an Origami, die japanische Kunst des Papierfaltens. Aber genau wie Origami hat auch das Wort »Papiertiger«
seinen Ursprung in einem Land mit mandeläugigen Menschen. Es wurde von einem führenden Politiker der Volksrepublik China –
nämlich dem berühmt-berüchtigten Mao Tse-tung – geprägt. Papiertiger ist das Synonym für Macht- und Einflusslosigkeit. Und
genau das kennzeichnet die Situation von Personalentwicklern. Sie haben nichts zu sagen, sondern sehen dem verschwenderischen
Umgang mit Fortbildungsgeldern tatenlos zu. Und wenn sie doch einmal ein kritisches Wort erheben, gibt es etwas zwischen die
Augen. Die Personalentwicklerin eines großen Software-Unternehmens war in ihrer langjährigen Berufspraxis immer wieder mit
Forderungen wie dieser konfrontiert: »Ich möchte das Seminar XY für die Mannschaft machen!« Als pflichtbewusste Personalentwicklerin
stellte sie natürlich Fragen zum Hintergrund der Maßnahme: »Was möchten Sie mit der Schulung genau erreichen? Inwiefern ist
das für alle Ihre Mitarbeiter ein
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