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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Kämmerer gefunden werden. Ruadbern war klug und jetzt auch alt genug für diesen Posten. Er lachte, als sie ihr Pferd neben seins lenkte und ihn fragte, ob er dieses Amt annehmen würde.
    »Willst du dich gleich wieder verdächtig machen?«, fragte er. »Noch einmal einen deiner Günstlinge befördern? Weißt du denn nicht, dass der Kaiser den Kämmerer einsetzt? Nein!«, wehrte er ab, als Judith den Mund öffnete. »Nicht einmal mir darfst du sagen, dass der Kaiser alles tut, was du verlangst! Solche Sätze dürfen nie wieder fallen! Außerdem kümmere ich mich lieber um die Schätze in alten Schriften als um die in den Vorratskammern.«
    Judith erschrak, als sie Ludwig vor dem Aachener Palatium zum ersten Mal wieder gegenüberstand. Er erschien ihr kleiner, hager und gebeugt, ausgezehrt. Sein Haar war schütter geworden, und scharfe Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Hätte er nicht sein Königsornat getragen, wäre sie vielleicht an ihm vorbeigegangen. Er ist ein alter Mann geworden, dachte sie bestürzt, und als sie ihn umarmte, vermeinte sie, seine Knochen zu fühlen.
    »Geht es dir gut?«, fragte sie.
    »Jetzt, da ich Weib und Kind wieder bei mir habe, könnte es mir gar nicht besser gehen«, erwiderte er. »Lass uns das gute Ende dieser bösen Zeit feiern!«
    Jeder hätte Verständnis gezeigt, wenn sich der Kaiser nach der langen Trennung mit seiner Gemahlin in die kaiserlichen Gemächer zurückgezogen hätte. Doch Ludwig verkündete, er wolle die eheliche Gemeinschaft erst wieder aufnehmen, wenn der Heilige Vater Judith formell aus dem Nonnenstand entlassen habe.
    Nach dieser Erklärung stürmte Erzbischof Agobard von Lyon in Ludwigs Beratungskammer. Er wetterte, es sei ein Frevel, wenn auf so einfache Weise aus einer Nonne wieder eine Kaiserin werden könne. Wie die anderen Kirchenmänner auch betrachte er Judith weiterhin als Braut Jesu, die von keinem Mann berührt werden und schon gar nicht wieder als Kaiserin wirken dürfe.
    »Dann wird sie später eben noch einmal gekrönt und gesalbt«, erklärt Ludwig friedfertig.
    »Sie ist wegen Ehebruchs und Zauberei verurteilt worden!« Die Rosinenaugen des Erzbischofs funkelten böse. »Du wirst eine neue Gemahlin nehmen müssen!«
    »Zu Lichtmess habe ich hier in Aachen eine Reichsversammlung einberufen«, erwiderte Ludwig gelassen. »Da werde ich meine neuen Verfügungen bekannt machen, und Judith wird sich allen Vorwürfen stellen. Wer den Wunsch dazu verspürt, kann sie erneut anklagen. Auch dir bleibt das unbenommen. Bedenke aber, dass du dich und dein Amt mit der Wiederholung dieser törichten Anschuldigungen lächerlich machen könntest.«
    Judith war noch nicht in die kaiserlichen Gemächer im Obergeschoss des Palatiums gezogen, sondern hatte sich vorübergehend in Ruadberns alter Kinderkammer eingerichtet. Drei Abende nach ihrer Ankunft in Aachen stand sie dort am Pult und ging die Vorschläge durch, die sie Ludwig zur Neuordnung der kaiserlichen Hofverwaltung unterbreiten wollte.
    Mit leisem Knarren öffnete sich plötzlich ihre Kammertür. Erschrocken wandte sich Judith um. Niemand betrat diesen Raum, ohne vorher anzuklopfen. Ungläubig starrte sie auf die Umrisse der untersetzten Gestalt, die an der Tür stand, und traute ihren Ohren nicht, als sie eine sehr bekannte Stimme sagen hörte: »Da bin ich wieder.«
    Keuchend brachte sie nur ein Wort hervor: »Verschwinde!«
    »Welch liebliche Begrüßung nach allem, was ich deinetwegen durchgemacht habe«, sagte Bernhard. »Verschwunden war ich lange genug. Ich bin zurückgekommen, um meine Arbeit wieder aufzunehmen. Schließlich hat mich niemand als Kämmerer abgesetzt.« Er trat so nah auf sie zu, dass er sie hätte berühren können. Unfähig, sich zu bewegen oder auch nur etwas zu entgegnen, starrte Judith entgeistert in die tiefgefrorenen Teiche. »Ich werde meine alte Stelle wieder einnehmen, liebste Judith. In jeder Hinsicht. Wenigstens das bist du mir nach den schauderhaften Ehemonaten mit deiner langweiligen Schwester Dhuoda schuldig.«
    »Nichts …«
    Sie kam nicht weiter. Mit beiden Händen ergriff er sie in der Mitte und zog sie grob an sich.
    »Eine sehr reizvolle Tracht«, raunte er ihr ins Ohr, während er sie eng an sich presste. »Welcher Mann träumt nicht davon, eine schöne Nonne zu küssen!«

9
    Aus den Chroniken der Astronoma
    In den Jahren des Herrn 831 und 832
    Der Heilige Vater habe die Verschleierung seiner Gemahlin für ungültig erklärt, verkündet Kaiser Ludwig

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