Die Welfenkaiserin
drei Jahre zuvor, und fordern den Kaiser zum sofortigen Bußgang auf.
Vor dem Altar der Marienkirche des Klosters Saint Medard liegt ein härenes Büßergewand, auf dem der Kaiser niederkniet und von einem Pergament die Sünden abliest, die ihm Erzbischof Ebbo aufgezeichnet hat. Neben den Verbrechen, die Ludwig bereits in Attigny gestanden hat, erklärt er sich jetzt auch schuldig, den Frieden der Kirche gestört zu haben, als er den Heerzug gegen die Bretonen während der Fasten anordnete. Die Schuld des Meineides habe er sich zugezogen, als er seine Zauber treibende und ehebrechende Gemahlin durch falsches Zeugnis geschützt habe. Statt mit seinen Söhnen Frieden zu halten, habe er diese durch widersprüchliche Reichsteilungen zu Feinden gemacht und das Volk schwören lassen, gegen sie zu fechten. Nach dem Verlesen überreicht Ludwig das Schriftstück Erzbischof Ebbo, der es auf den Altar legt. Ludwig erhebt sich, gürtet sein Wehrgehenk ab und legt es gleichfalls auf dem Altar nieder. Ebbo zieht dem Kaiser das Büßergewand an und erklärt, Ludwig dürfe fortan nimmermehr Waffen tragen, sondern habe sich ausschließlich dem Dienste Gottes im Gebet zu widmen. Doch allem Drängen zum Trotz weigert sich Ludwig, Mönch zu werden. Ebenso lehnt es Abt Markward in Prüm ab, den jungen Karl zum Eintritt in den Mönchstand zu scheren.
Lothar lässt den Namen des Vaters aus den Urkunden tilgen und ruft sich zum einzigen Kaiser aus.
Kaiserin Judith indes wird in einem Kerker der italischen Ansiedlung Tortona strenger Haft ausgesetzt. Kaiser Lothar hat ihre Wächter wissen lassen, ihr Überleben sei von keinerlei Belang.
Im Jahr 833
Sie landete auf einem Haufen stinkenden Strohs und blieb zunächst reglos liegen. Wofür? Das Wort wollte ihr nicht aus dem Kopf. Sie hatte sich keines der ihr vorgeworfenen Verbrechen schuldig gemacht, weder Zauberei betrieben noch die Ehe gebrochen, denn diese war nie vollzogen worden. Außerdem lag die Geschichte mit Bernhard schon viele Jahre zurück. Bestrafte Gott sie etwa dafür, dass sie Bernhards Sohn als den des Kaisers ausgegeben hatte und Rechte für ihn einforderte?
Mühsam richtete sie sich auf und wischte sich Strohhalme aus dem nassen Gesicht. Gebrochen hatte sie sich nichts, dafür war die Fallhöhe zu gering gewesen. Über sich hörte sie die Männer reden und lachen. Als sie sich aufrichten wollte, prallte sie mit dem Kopf gegen die Falltür. Ein sehr niedriger Kellerraum, in dem sie sich nur gebückt bewegen konnte, vermutlich zu ebener Erde, denn die Decke dieses Kerkers entsprach wohl der Höhe der Brücke, über die sie in den Turm gelangt waren. Durch einen winzigen Steinspalt in Deckenhöhe an der Außenmauer drang ein schmaler Lichtstrahl; bei Weitem nicht genug, um das Verlies auszuleuchten. Die beiden Finger, die sie hindurchsteckte, hätten mindestens dreimal so lang sein müssen, um an dem dicken Gestein vorbei nach draußen zu gelangen. Wasser rann an einer Wand herab, als beweinte sie das Schicksal der Gefangenen. Die Nässe sammelte sich am Boden und verdarb das Stroh.
Judith tastete sich an der unebenen Steinmauer entlang, riss sich an einem Mauervorsprung eine Fingerkuppe auf und entdeckte, dass sie in einem kleinen rechteckigen Loch gelandet war, knapp vier kleine Schritte lang und breit. Das nasse Kleid klebte ihr immer noch am Leib, und jetzt erst merkte sie, dass sie vor Kälte unaufhörlich zitterte.
Was sollte sie hier? Warum hatte Lothar sie nicht, so wie es sich gehörte, in ein Kloster verbannt? Sollte sie in diesem engen Raum lebendig begraben werden? Hier würde sie niemand finden. Sie widerstand der Versuchung, sich ins faulige Stroh zu werfen und über ihr Los und die Ungerechtigkeit der Welt bitterlich zu weinen. Das würde ihr nicht weiterhelfen, sondern sie nur noch mehr Kraft kosten.
»Ich verlange eine Decke!«, rief sie nach oben, wo sich, den Geräuschen nach zu urteilen, ihre Wächter dem Würfelspiel hingaben.
Es wurde still.
»Sie verlangt eine Decke!«, vernahm sie die spöttische Stimme des Vollbärtigen.
Sie hörte Schritte über sich. Als nach kurzer Zeit die Falltür aufgeklappt wurde, stellte sie sich darunter, um die Decke aufzufangen. Mehrere Strohballen purzelten herab und begruben sie unter sich.
»Damit kann sie es sich behaglich machen! Werfen wir ihr doch gleich das Abendbrot hinterher!«
Hustend und nach Luft ringend, kroch Judith rasch unter dem Stroh hervor und drückte sich in eine Ecke des Kerkers.
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