Die Welfenkaiserin
Stemma spitz zurück.
Aber Mutter eines Kaisers, dachte Judith. Würde sie das auch werden können? Wohl kaum, gab sie sich selbst die Antwort, als sie unwillkürlich den Kopf duckte, um das Gebäude zu betreten, das einem Grubenhaus nicht unähnlich war. Selbst wenn Ludwig sie erwählen sollte, hatte er aus erster Ehe bereits drei Söhne mit älteren Rechten. Lothar konnte sie sich noch ganz gut ins Gedächtnis rufen, da sie früher aufeinandergetroffen waren, wenn König Ludwig seinen kaiserlichen Vater in Aachen aufsuchte. Er war genauso alt wie sie selbst und sehr erfinderisch bei der Auslegung von Spielregeln gewesen, erinnerte sie sich, vor allem, wenn er zu verlieren drohte. Er konnte es nicht ertragen, unterlegen zu sein. Einmal hatte er ihr im dunklen Gang sogar einen Kuss gestohlen. Damals musste sie ungefähr sechzehn gewesen sein. Die beiden jüngeren Brüder Pippin und Ludo standen ihr nicht so deutlich vor Augen; sie wusste nur noch, dass Pippin wegen seiner Leichtgläubigkeit oft Opfer von Streichen geworden war und der ungewöhnlich schwermütige Ludo schnell in Tränen ausbrach. Er musste jetzt etwa achtzehn sein, so alt wie ihre Schwester Hemma.
Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass das Haus aus einem einzigen riesigen Raum bestand. Die Mitte wurde von einem langen Tisch mit Bänken eingenommen, und acht Betten an den Wänden vervollständigten die Einrichtung. Da bisher erst sieben mögliche Bräute angereist waren, stand jeder ein Lager für sich zur Verfügung. Das würde sich aber bald ändern, erklärte Frau Stemma mit strenger Stimme, da auch die restlichen Mädchen noch vor dem Weihnachtsfest in der nächsten Woche eintreffen sollten. Weder Frau Stemma noch Judith wunderten sich, als sich am Abend Irmingard und Adelheid zu ihnen gesellten.
Irmingard ging geradewegs auf Judith zu.
»Sollen wir uns ein Bett teilen?«, fragte sie. Judith hob die Augenbrauen und blickte fragend zu Adelheid.
»Meine Schwester kenne ich«, erklärte Irmingard. »Wenn ich mich hier schon langweilen soll, dann mit jemandem, mit dem ich mich gut unterhalten kann.«
Langeweile kam nicht auf, und gute Unterhaltung konnte kaum gepflegt werden, da der Tagesablauf der Mädchen streng eingeteilt war. Fast wie in einer jener Mädchenschulen, die Kaiser Ludwig verboten hatte, dachte Judith. Allerdings mussten hier siebzehn junge Frauen, die allesamt den Kaiser heiraten wollten, auf engstem Raum miteinander auskommen. Die Spannungen, die dabei entstanden, fielen Judith zunächst nicht auf, denn Schwesterngezänk kannte sie aus Altdorf und konnte es daher nicht wirklich ernst nehmen. Sie ging einfach davon aus, dass ihr niemand etwas anhaben konnte, wenn sie sich allen gegenüber freundlich und höflich verhielt. Auf den Gedanken, dass ihre Schönheit und ihre Liebenswürdigkeit die anderen herausfordern könnte, kam sie nicht.
»Du hältst dich wohl für etwas Besonderes!«, fauchte eines der Mädchen sie an, als sie sich am Morgen, auf dem Bett sitzend, das Haar ausbürstete. Judith blickte erschrocken auf.
»Das sind wir doch alle«, gab sie bemüht gelassen zurück, »sonst hätte man uns doch nicht auserwählt.«
Ein vergeblicher Appell an die Gemeinsamkeit. Es galt: jede für sich und alle gegen eine. Alle – bis auf Irmingard. Die verfolgte eigene Ziele und war fassungslos über Judiths Arglosigkeit. Nachdem sie verhindert hatte, dass Judith ein Kessel kochenden Wassers in den Schoß geschüttet wurde, nahm sie die Freundin zur Seite.
»Die Welt ist schlecht«, sagte sie, »und keiner will dein Gutes, vor allem nicht hier, merk dir das endlich, sonst geschieht noch ein Unglück!«
»Ich habe doch niemandem etwas getan!«
»Darum geht es nicht. Du bist du, und das ist für die anderen schlimm genug.«
»Was ist so schlimm daran, ich zu sein?«
»Schau in den Spiegel«, empfahl Irmingard.
Am nächsten Tag wurde feines weißes Tuch an die Mädchen verteilt, aus dem jede das Kleid schneidern sollte, in dem sie vor den Kaiser treten würde.
»Wenigstens müssen wir nicht spinnen und den Stoff selbst weben«, murrte Irmingard, als sie ihren Stoff in Empfang nahm. Wie immer saß sie neben Judith. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Judiths andere Nachbarin, die über das schlechte Licht klagte, sich an der Öllampe auf dem Tisch zu schaffen machte und immer wieder zu Judiths feingliedrigen Fingern schielte. Bevor die Lampe umstürzte und sich das heiße Öl über Judiths
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