Die Welfenkaiserin
Einhard auf dem Alpenpass.
»Welche Enttäuschung?«, fragte der entrüstet.
»Der römische Diakon hat dir in Aachen interessante Knochen für deine Kirche versprochen, sagst du? Ach Einhard, ich weiß nur zu gut, was von Versprechungen zu halten ist, die in der Ferne gegeben werden.«
»Versprechungen?«, nahm Harald Klak das Wort auf, als er seinen Wallach neben Judiths Zelter lenkte. »Diese Berge!«, fügte der Wikinger beeindruckt hinzu. »Sie sind Versprechungen des Himmels! Kommen auch deine Versprechungen, Freund Einhard, von Gott?«
»Gewissermaßen«, erklärte Judith an Einhards statt. »Ludwig hat Einhard vor zehn Jahren die Mark Michelstadt und Besitz im Raum Seligenstadt geschenkt. Aber um in seiner alten Heimat seine Kirche weihen zu können, benötigt er Reliquien. Die will er sich jetzt in Rom sichern.«
»Was sind Reliquien?«
Harald Klak zeigte sich ein wenig angewidert, als ihm Judith die Natur von Reliquien auseinandersetzte. Steine, Bäume, Quellen, ja, eine solche Verehrung begreife und billige er, aber morsche Knochen von toten Menschen?
»Von Heiligen«, wies ihn Einhard missgestimmt zurecht. Ebbo hätte sich mit der Christianisierung des Dänen wirklich mehr Mühe geben können!
»Heilige Knochen«, sagte Harald Klak nachdenklich, »und die bewirken Wunder?«
»Du hast es erfasst«, entgegnete Judith trocken.
Der Dänenkönig entschuldigte sich für seine Begriffsstutzigkeit. An der habe es ja auch gelegen, dass er sich mit der Taufe so viel Zeit gelassen habe. In seiner Heimat gebe es nämlich auch ein Wasserritual, aber dieses habe eine andere Bedeutung. »Wer neu zur Familie stößt, den überschütten wir mit Wasser«, erläuterte er.
»Also habt ihr auch eine Taufe!«, rief Judith.
»Nein, das ist etwas ganz anderes. Mit dem Wasser nehmen wir jemanden in unsere Gemeinschaft, unsere Sippe, auf, aber unsere Götter verlangen von uns nicht, dass wir ihrer Familie beitreten. Und das Wasser ist nicht dazu gedacht, etwas aufzugeben und zu verleugnen.«
»Du siehst also deine Taufe als Verleugnung und Aufgabe deiner Götter?«, fragte Judith.
Einhard sprengte davon. Nach all den mühseligen Verhandlungen, von denen Judith nichts ahnte, war er nicht bereit, sich auf eine theologische Diskussion mit dem Dänenkönig einzulassen. Harald Klak hatte sich als letzten Ausweg aus seiner Herrscherkrise taufen lassen, und dabei wollte es Einhard auch belassen. Er hatte sich zu Zeiten Karls des Großen mit viel zu vielen Heiden auseinandersetzen müssen, als dass er Lust darauf verspürte, sich jetzt wieder einer Diskussion über das Wesen der Taufe zu stellen.
»Meine Schwester«, sagte Harald Klak fast zärtlich, »in dir fließt sächsisches und nordisches Blut. Wann verspürst du mehr Ehrfurcht? Wenn die Bäume aus dem Morgennebel aufsteigen, du die Wärme von einem Stein in deinen nackten Händen aufnimmst, die Sonne im Meer versinken siehst oder wenn du auf morsche Knochen von toten Heiligen schaust?«
»Ich habe die Sonne noch nie im Meer versinken sehen«, erwiderte Judith unwirsch.
»Vielleicht ist es das, was deinem Leben fehlt«, sagte Harald Klak unberührt. »Und meinem fehlt der Anblick ebendieser Knochen. Ich danke Herrn Einhard, dass er mich daran teilhaben lassen wird.«
Als sie in der Heiligen Stadt eintrafen, stellte sich das Versprechen des Diakons in der Tat als leeres Gerede heraus. Es gab keine Gebeine, die Einhard für seine Kirche mitnehmen konnte.
»Du wirst dich mit dieser Auskunft doch nicht abspeisen lassen«, empörte sich Judith, die den Tag über am Grab des Heiligen Petrus gebetet hatte. Sie war froh, dass niemand sie erkannt und keiner in der bescheiden gekleideten Pilgerin die Kaiserin erahnt hatte. Ihr war leichter ums Herz, denn sie hatte um die Absolution der Sünde gebeten, einem Mann nach dem Leben getrachtet zu haben. Und eine kleine Bitte für ihren Karl hinzugemurmelt: Wenn es nicht zu viel Mühe bereite, möge Petrus helfen, ihn dereinst zum Kaiser zu machen.
Harald Klak und seine Gemahlin, zweifellos vom Prunk des Lateran überwältigt, waren noch nicht von ihrer Audienz beim Papst in die angemietete Villa zurückgekehrt. Also ließ Einhard seiner Verzweiflung freien Lauf.
»Was soll ich denn tun?«, jammerte er. »Ohne Reliquien kann ich meine Kirche nicht weihen!«
Aus dem Dunkel der Kammer tauchte plötzlich Ruadbern auf.
»Dann beschaffen wir uns eben welche!«, sagte er mit einem vielsagenden Blick zu Judith und berichtete von
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