Die Welle
grüßen. Wenn das so weitergeht, werde ich einen Muskelkater im Arm bekommen, dachte er belustigt. Brad und Eric standen an einem Tisch und verteilten Flugblätter, während sie immer wieder riefen:
»Hier könnt ihr alles über die Welle erfahren«, erklärte Brad vorübergehenden Schülern. »Nehmt die Flugblätter mit.«
»Und vergesst die Versammlung heute Nachmittag nicht«, erinnerte Eric. »Arbeitet zusammen und erreicht gemeinsam eure Ziele!«
Ben lächelte. Die unerschöpfliche Energie der Schüler war fast zu viel für ihn. Überall in der Schule klebten jetzt Poster der Welle. Jedes Mitglied schien irgendetwas zu tun: neue Mitglieder gewinnen, Auskünfte geben, die Turnhalle für die Versammlung am Nachmittag vorbereiten. Ben fand es fast überwältigend.
Ein Stückchen weiter hatte er das seltsame Gefühl, es folgeihm jemand. Einen Meter hinter ihm stand Robert und lächelte. Ben lächelte zurück und ging weiter, doch Sekunden später blieb er abermals stehen. Robert war noch immer dicht hinter ihm.
»Robert, warum machst du das ? «, fragte Mr Ross. »Mister Ross, ich bin Ihr Leibwächter«, erklärte Robert. »Mein was?«
Robert zögerte ein wenig. »Ich möchte gern Ihr Leibwächter sein. Ich meine, Sie sind doch der Führer, Mister Ross! Ich kann nicht zulassen, dass Ihnen irgendetwas zustößt!« »Was könnte mir denn zustoßen?«, fragte Ben und war von dieser Vorstellung erschreckt.
Robert schien gar nicht auf die Frage zu achten. » Ich weiß, dass Sie einen Leibwächter brauchen, und ich könnte das, Mister Ross. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl ... Wirklich, niemand macht sich mehr über mich lustig. Ich habe das Gefühl, dass ich zu etwas ganz Besonderem gehöre.«
Ben nickte.
»Also, darf ich? Ich weiß, dass Sie einen Leibwächter brauchen, und ich könnte das!«
Ben schaute Robert ins Gesicht. Der früher so in sich gekehrte Junge ohne Selbstbewusstsein war jetzt ein ernsthaftes Mitglied der Welle, das sich Sorgen um seinen Führer machte. Aber ein Leibwächter?
Ben zögerte. Ging das nicht zu weit? Immer deutlicher erkannte er, welche Rolle seine Schüler ihm aufzwangen. Er war der oberste Führer der Welle. Im Laufe der letzten Tage hatte er mehrmals gehört, dass Mitglieder über »Befehle«sprachen, die er gegeben habe: Befehle, Poster in der Halle aufzuhängen, Befehle, die Bewegung der Welle auf die unteren Klassen auszudehnen, sogar den Befehl, die Versammlung des Fanklubs in eine Versammlung der Welle umzufunktionieren.
Seltsam daran war nur, dass er diese Befehle niemals gegeben hatte. Irgendwie waren sie in den Gedanken der Schüler entstanden, und dann hatte man sie ihm wohl fast automatisch zugeschrieben. Es war so, als hätte die Welle ein eigenes Leben gewonnen und ihn und seine Schüler mit sich fortgeschwemmt.
Ben Ross sah Robert Billings nachdenklich an: Er wusste, wenn er jetzt Robert erlaubte, die Rolle eines Leibwächters zu spielen, willigte er damit ein, zu einem Menschen zu werden, der einen Leibwächter brauchte. Aber gehörte das nicht auch zu dem beabsichtigten Ergebnis? »Also, gut, Robert«, sagte er. »Du darfst mein Leibwächter sein.«
Ein breites Lächeln erschien auf Roberts Gesicht. Ben zwinkerte ihm zu und ging weiter die Halle entlang. Vielleicht war es ganz nützlich, einen Leibwächter zu haben. Für das Gelingen des Experiments war es wichtig, dass er der unumstrittene Führer der Welle blieb. Und diese Rolle konnte durch einen Leibwächter nur verstärkt werden.
Die Versammlung der Welle in der Turnhalle musste gleich beginnen, aber Laurie Saunders stand noch an ihrem Schrank und war nicht sicher, ob sie hingehen sollte. Sie konnte immer noch nicht in Worte fassen, was sie an der Welle störte, aber sie spürte den Widerspruch in sich wachsen. Irgendetwas stimmte nicht. Der anonyme Brief von heute Morgen war ein Symptom. Nicht nur hatte ein älterer Schüler versucht, einen jüngeren zum Beitritt in die Welle zu zwingen. Es war mehr – die Tatsache, dass der Schüler nicht gewagt hatte, seinen Namen unter den Brief zu schreiben, die Tatsache, dass er davor Angst gehabt hatte. Seit Tagen hatte Laurie versucht, die Wichtigkeit der Welle für sich selbst zu leugnen, aber es klappte einfach nicht. Die Welle war Furcht erregend. Sie war sicher großartig, solange man ein Mitglied war, das keine Fragen stellte. War man das aber nicht ...
Lauries Gedanken wurden von plötzlichem Geschrei auf dem Platz vor der
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