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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wecken. Er murrte und knurrte, erhob sich aber schwankend.
    Wenig später schoben sie beide sich an der Wand des Schankraums entlang, wichen fliegenden Krügen und stolpernden Männern aus, duckten sich, als ein leeres Fass über ihnen an der Wand zerschellte, und taten ihr Bestes, den Schlägen, Tritten und Fausthieben der raufenden Piraten zu entgehen.
    Inmitten des Tohuwabohus aus Leibern wütete ein hünenhafter Mann wie ein Berserker. Jolly erkannte ihn an seinem gewaltigen Ritterhelm - Buenaventure, der Riese aus der Taverne vom Vortag. Er zertrümmerte Stühle und Tische - nicht mit den Fäusten, sondern mit Körpern, die er wie Waffen um sich kreisen ließ und damit weite Lichtungen in den Pulk der Kämpfenden hieb. Weil jeder nur auf ihn und keiner auf Jolly und Munk achtete, ließen die beiden das Schlachtfeld rasch hinter sich.
    Der Geisterhändler stand im Freien neben einem Mann, der benommen im Sand saß und sich den Kopf hielt.
    Walker hatte sich nicht verändert, seit Jolly ihm zuletzt an Bannons Seite begegnet war - abgesehen von der blutenden Platzwunde auf seiner Stirn. Er war mittelgroß und schlank. Sein dunkles Haar trug er schulterlang; im Augenblick war das kein besonders schöner Anblick, denn es klebte in dunklen Strähnen auf seinem Gesicht, so als hätte sich der Schatten aller Gitterstäbe, hinter denen er jemals gesessen hatte, in seine Züge eingebrannt.
    Bannon hatte Walker gemocht, im Gegensatz zu Jolly, die von ihm bei ihren seltenen Treffen stets wie ein kleines Kind behandelt worden war. Allein das konnte sie ihm nicht verzeihen - ganz abgesehen davon, dass sie es albern fand, wenn sich ein Mann einen goldenen Ring durch die Nase zog, nur weil er es bequem fand, die schweren kubanischen Zigarren, die er mit Vorliebe rauchte, damit abzustützen.
    Walker kämpfte sich mühsam auf die Beine, gerade als Jolly und Munk herbeieilten.
    Er blickte auf und sah sie zum ersten Mal an.
    »Wenn das nicht die kleine Kröte ist.«
    »Quappe«, verbesserte ihn der Geisterhändler.
    »Kröte oder Quappe oder Lurch . alles ein und dasselbe.«
    Munk, jetzt wieder einigermaßen bei Sinnen, sah Walker zweifelnd an. »Was für ein Wrack ist das denn?«
    »Der beste Kapitän der Karibik«, sagte der Händler.
    »Zumindest war er das, bevor er sich gerade fast den Schädel hat einschlagen lassen.«
    Jolly nahm sich zusammen. »Hauen wir ab, bevor Buenaventure uns folgt.«
    »Buenaventure?« Walker lachte, was in Anbetracht der Platzwunde eher gequält wirkte. »Ach was, er ist es doch, der mir die Mistkerle gerade vom Leib hält.«
    Jolly schürzte die Lippen. »Er ist dein Freund?«
    »Mein Steuermann«, erklärte Walker. »Und der beste, den es gibt.« Er wandte sich an den Geisterhändler: »Soll die Kröte etwa auch mit an Bord gehen?«
    Jolly schenkte ihm einen abfälligen Blick. »Ich kann’s gar nicht erwarten, die Carfax wieder zu sehen.«
    »Du warst schon immer ein schreckliches Kind. Vorlaut und besserwisserisch und -«
    »Das können wir an Bord besprechen«, unterbrach ihn der Geisterhändler und drängte sich zwischen die beiden Streithähne. »Es wird womöglich nicht mehr lange dauern und die -«
    Er verstummte.
    Alle verstummten.
    Von einem Augenblick zum nächsten lag über Port Nassau eine Stille, als hätte eine unbegreifliche Macht alle Geräusche aufgesaugt. Hinter ihnen, in Gideons Grab, ertönte ein letztes Poltern, dann herrschte sogar dort Ruhe. Buenaventure trat aus der Tür und blieb stehen, starrte wie alle anderen reglos auf die nächtliche See hinaus.
    Der unwirkliche Augenblick währte kaum einen Atemzug, aber Jolly kam es vor wie eine Ewigkeit.
    Dann flammte jenseits der Bucht ein Lichtblitz auf. Ein zweiter und dritter und vierter folgten, bis es so viele waren, dass sie sich nicht mehr zählen ließen. Sie beschienen kantige Umrisse draußen auf dem Meer, als hätte jemand auf den Wellen eine ganze Stadt errichtet. Eine ohrenbetäubende Folge von Donnerschlägen ertönte, als Breitseite um Breitseite auf Port Nassau abgefeuert wurde.
    Schreie ertönten. Dächer zerbarsten. In Windeseile loderten Feuer aus dem Labyrinth der Hütten und Häuser.
    Jolly und die anderen ließen sich flach in den Sand fallen.
    Gideons Grab explodierte, wurde in Millionen von Holzsplittern zerblasen, die wie bösartige Moskitoschwärme über ihre Köpfe fegten.
    Neben Jolly schlug etwas Schweres ein - erst glaubte sie, es wäre eine Kugel, doch als der Staub sich legte, sah sie Buenaventure.

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