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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schales Schreckgespenst gegen das, was der Mahlstrom ausspeien wird, wenn seine Macht größer wird. Und sie wird größer, mit jedem Tag, mit jeder Stunde.«
    Jolly verstand nur die Hälfte von dem, was er da redete, aber sie begann bei diesen Worten zu frieren.
    »Was hast du vor?«
    Der Geisterhändler blieb ihr eine Antwort schuldig. Unruhig machte er einige Schritte auf das Fenster zu und spähte hinaus. Erst dann wandte er sich ihr wieder zu. »Vieles bleibt im Dunkeln, und alles geht so viel schneller, als wir befürchtet haben.«
    Jolly dachte an das, was auf der Insel passiert war, und schwieg.
    Mit einem Mal streckte Munk sich im Schlaf und legte eine Hand auf Jollys Oberschenkel.
    »Liebe Güte!« Aufgebracht schob sie seine Finger fort und sprang auf. »Jede Feldmaus verträgt mehr als dieser… dieser…« Sie brach ab. Munk sah sehr friedlich aus, wie er so da lag, als hätte er die Trauer um seine Eltern nun doch noch für ein paar Stunden abstreifen können.
    »Gib nicht ihm die Schuld«, sagte der Geisterhändler. »Er kann genauso wenig für das, was geschehen ist, wie du.«
    Sie sah zu Boden. »Ich habe den Acherus zu seiner Insel geführt«, sagte sie niedergeschlagen. »Das kann ich niemals wieder gutmachen.«
    »Doch. Und zwar schneller als du jetzt ahnst.«
    »Aber was muss ich tun?«
    Der Händler kam auf sie zu und nahm lächelnd ihre Hand. »Mit der Zeit wirst du alles verstehen, kleine Quappe.«
    Jolly saß mit angezogenen Knien auf ihrem Bett und starrte durch das offene Fenster hinaus in die Nacht. Sie konnte nicht schlafen, obwohl ihr der Geisterhändler dazu geraten hatte. Der Sternenhimmel der Karibik erschien ihr heute zu hell, das Rauschen der Brandung zu laut. Viele Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Sie spürte eine vage, kaum zu bestimmende Verantwortung auf ihren Schultern, eine Verpflichtung, die sie gegen ihren Willen aufgebürdet bekommen hatte. Was hatte der Geisterhändler wirklich mit den Quappen vor? Und was wurde bei alldem aus ihrer Suche nach Bannon? Sie würde ihre Nachforschungen auf keinen Fall aufgeben, ob mit oder ohne Unterstützung. Kenndrick, der Geisterhändler, dieser Mahlstrom - sie alle konnten ihr gestohlen bleiben.
    Sie schrak zusammen, als durch die Dielenbretter ein markerschütterndes Poltern ertönte. Unter ihr im Schankraum war etwas mit großer Wucht gegen die Decke geschleudert worden. Etwas - oder jemand!
    Sie setzte die Füße auf den Boden - und zog sie gleich wieder hoch, als sich die Erschütterung wiederholte, diesmal noch heftiger. Dann ertönte das Klirren berstender Fensterscheiben, und draußen vor der Taverne wurden Stimmen laut. Offenbar kam dort unten gerade eine üble Schlägerei in Fahrt.
    Die Tür flog auf. Der Geisterhändler, der erst vor wenigen Minuten nach unten gegangen war, stand breitbeinig im Rahmen, das Gewand auf einer Seite zurückgeschlagen. Seine linke Hand ruhte auf dem Silberreif an seinem Gürtel.
    »Kommt, es geht los!«
    »Walker will uns tatsächlich helfen?«
    »Noch nicht. Aber wenn er wieder einen klaren Kopf hat, wird er einsehen, dass ihm keine andere Wahl bleibt. Wir sammeln ihn einfach vor dem Fenster auf - dort liegt er nämlich gerade.«
    Jolly starrte ihn an. »Irgendwas sagt mir, dass du dabei deine Finger im Spiel hattest.«
    »Wer weiß?«
    »Aber du bist kein Zauberer, hast du gesagt. Nur ein Geisterbeschwörer.«
    Der Händler lachte plötzlich, ein Laut, der Jolly zusammenfahren ließ. Selbst Munk verzog im Schlaf das Gesicht.
    »Kein Beschwörer, nur ein Händler. Ich sammle die Geister der Toten, ich beschwöre sie nicht herauf. Aber ich kann nicht erwarten, dass du den Unterschied verstehst… noch nicht. Und was den guten Captain Walker angeht: In dieser Schänke gehen mehr Geister von Männern um, die sich zu Tode gesoffen haben oder bei Streitereien ums Leben gekommen sind, als in irgendeiner anderen - nicht umsonst heißt sie Gideons Grab. Ich habe nur ein paar der armen Seelen angewiesen, den Captain bei seinem Kartenspiel ein wenig zu stören.«
    »Das ist niederträchtig«, sagte Jolly, aber der Geisterhändler war bereits herumgewirbelt und lief schon wieder zur Treppe. »Bringt das Gepäck mit!«, rief er über die Schulter.
    Jolly sah ihm übellaunig hinterher. »Ja, Meister. Gern, Meister. Zu Euren Diensten, Meister.«
    Fluchend stand sie auf, packte Munks Muscheln in seine Ledertasche, befestigte sie an ihrem eigenen Gürtel und machte sich daran, den Jungen auf dem Bett zu

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