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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einmal. Sie leben vor sich hin und schauen, ganz buchstäblich, nicht über den Tellerrand. Aber es gibt Ausnahmen, jene, die einen Blick riskieren und manchmal noch sehr viel mehr. Das sind die Maler, die Dichter, die Künstler und Schamanen - sie sehen hinüber und beschreiben allen anderen, was sie entdeckt haben. Doch nicht einmal sie sind in der Lage, dort hinüberzugehen. Sie können Geschehnisse und Bilder sehen, sie können davon erzählen, aber sie können diese anderen Welten nicht wirklich besuchen. Denn das ist nur sehr wenigen vorbehalten. Den Auserwählten. Menschen wie dir, Jolly.«
    Er machte abermals eine Geste, um ihren Widerspruch zu ersticken. »Und das ist es, was aus dir sehr wohl etwas Einzigartiges macht, ob du nun willst oder nicht. Du hast die Macht, vom rasenden Galopp der Zeit abzuspringen, von einem Tellerrand zum nächsten. Du und Munk - und der Mahlstrom. Denn auch er ist ein Lebewesen, und auch er ist auserwählt.«
    »Willst du damit sagen, wir Quappen und der Mahlstrom… wir sind uns ähnlich?«
    »Wie Geschwister.«
    Griffins Worte stiegen aus ihrer Erinnerung empor. Munk werde selbst zu einem Mahlstrom, hatte er gesagt. Sie schauderte.
    »Das ist noch nicht alles«, sagte Urvater. »Auch wenn es dir schwer fällt, musst du versuchen, diese Dinge zu verstehen. Jede Erkenntnis der anderen Welten, jeder bewusste Vorstoß dorthin, birgt auch Gefahren. Manchmal können sie den Untergang bedeuten, wie vielleicht für Aelenium. Aber manchmal verhelfen sie uns zu etwas Höherem. Jolly, aus dir wird eine andere werden, ist schon eine andere geworden, um den Kampf gegen den Mahlstrom aufzunehmen.«
    Sie stand auf. »Ich weiß nicht, ob ich irgendwas von alldem verstanden habe«, sagte sie. »Aber es macht mir Angst.«
    »Das muss es nicht. Nur weil es etwas Neues ist, worüber du vielleicht eine Weile nachdenken musst, sollte es dich nicht verunsichern.« Er deutete zur Tür des Saals. »Geh ruhig, wenn du willst. Geh irgendwohin, wo du allein bist. Denk über meine Worte nach. Für heute ist der Unterricht beendet.«
    Sie widersprach nicht, nickte ihm nur zu und verließ die Bibliothek. Urvaters Blick folgte ihr, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    »Jolly!«
    Sie fuhr herum und entdeckte Soledad, die mit raschen Schritten über eine Korallenplattform an der Westseite Aeleniums auf sie zukam. Nicht weit von dieser Stelle ging der steile Bergkegel im Zentrum der Seesternstadt in das Gewirr der Häuser und Gassen über.
    Hunderte Möwen kreisten um die Türme, aber ihr Kreischen wurde vom Rauschen der Wasserfälle übertönt, die sich in Kanälen vom Korallenberg hinab in die Stadt ergossen.
    Während ihrer Rundgänge hatte Jolly entdeckt, dass sich hier die Geschichtenerzähler Aeleniums trafen. Sie saßen im Schneidersitz auf Decken oder Fellen, einige sogar auf erhöhten Podesten, und scharten kleine Gruppen von Zuhörern um sich, meist Kinder, weil die Erwachsenen mit den Vorbereitungen für die Verteidigung beschäftigt waren.
    Jolly war von einem Erzähler zum anderen gewandert und hatte hier und da einzelne Brocken aufgeschnappt, Märchen und Fabeln, aber auch Episoden aus der Geschichte der Stadt, der Karibik und aus den Anfängen der Kolonisation.
    »Ich hab dich gesucht.« Soledad lächelte. »Der alte Mann hat gesagt, du seist sicher irgendwo hier oben.«
    Seit Tagen hatte Jolly kein Wort mehr mit der Prinzessin gewechselt, wie überhaupt mit den meisten ihrer Freunde von der Carfax.
    Zum ersten Mal hatte sie deswegen ein schlechtes Gewissen.
    »Ich musste nachdenken«, sagte sie.
    »Oh.« Soledad legte den Kopf schräg und hob beide Augenbrauen.
    »Ach, mach nicht so ein Gesicht.« Jolly zwang sich zu einem zaghaften Lachen.
    »Ist es wegen Griffin und Munk?«
    »Du lässt nicht locker, was?«
    Soledad musterte sie unschlüssig, dann zuckte sie die Achseln. »Das ist deine Sache, ich werd mich nicht einmischen. Ich wollte aus einem anderen Grund mit dir reden.« Sie trat näher an Jolly heran und ergriff ihre Hände. »Ich will Lebewohl sagen.«
    »Du gehst fort?«
    »Nur für ein paar Tage, wenn alles klappt.«
    »Was hast du vor?« Jolly hatte geglaubt, dass sie es sein würde, die Abschied nehmen musste, wenn der Zeitpunkt zum Aufbruch gekommen war. Schon tagelang verfolgte sie der Gedanke daran wie ein Spuk.
    Soledad ließ ihre Hand los. »Ich werde das beenden, was ich in New Providence angefangen habe. Ich werde meinen Vater rächen. Kenndrick soll endlich

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