Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
die Kapitäne mich anhören, dann kann ich ihnen vielleicht die Gefahr begreiflich machen, in der wir alle schweben - auch sie und ihre Mannschaften. Falls sie mir Glauben schenken, kehre ich mit einer ganzen Flotte zurück, die uns im Krieg gegen den Mahlstrom unterstützen kann.«
Jolly verzog das Gesicht und versuchte gar nicht erst, ihr Unverständnis zu verbergen. »Du willst allen Piraten der Karibik verraten, dass es Aelenium gibt? Und wo es vor Anker liegt? Was glaubst du wohl, werden sie als Allererstes tun?«
»Ich kenne das Risiko. Deshalb ist es so wichtig, dass der Geisterhändler dabei ist. Er wird einschätzen können, ob wir eine Chance haben oder ob der ganze Plan Irrsinn ist.«
»Aber sie werden hier mit ihren Schiffen auftauchen, und dann hat Aelenium zwei Fronten, an denen es kämpfen muss. Die Piraten werden die Stadt plündern und dem Mahlstrom die Trümmer übrig lassen.«
Soledad streichelte Jolly übers Haar. Es war das erste Mal, dass sie sich zu einer so vertrauten Geste hinreißen ließ. »Du bist klug, Jolly. Aber unterschätze mich nicht. Ich hab eine Menge von meinem Vater gelernt. Ich weiß, wie man mit diesen Kerlen redet. Und was man ihnen versprechen muss, damit sie einem aus der Hand fressen. Es geht auch um ihr Überleben - sie wissen es nur noch nicht.«
»Es ist trotzdem Wahnsinn. Was sagt Graf Aristoteles dazu? Und der Rat?«
»Sie haben eingesehen, dass es eine Chance ist. Vielleicht die letzte. Ihr beiden braucht Zeit, um zum Schorfenschrund zu gelangen. Und selbst wenn es dir und Munk gelingt, den Mahlstrom zu versiegeln, ist es doch mehr als wahrscheinlich, dass Aelenium vorher angegriffen wird. In diesem Fall brauchen wir jede Unterstützung, die wir kriegen können.«
Jolly sah ein, dass sie die Prinzessin nicht überzeugen konnte. Das Vorhaben war längst in die Wege geleitet, ohne dass man sie und Munk eingeweiht hatte.
»Wann brecht ihr auf?«
»Sofort. Deshalb habe ich dich gesucht. Ich wollte, dass du es von einem von uns erfährst, nicht von dem alten Mann oder einem dieser Wichtigtuer im Rat.«
»Und Munk?«
»Erzähl du es ihm.«
»Was ist mit Griffin?« Jolly spürte, wie ihr Herz plötzlich schneller schlug.
Soledad horchte auf und schmunzelte. »Griffin?«
»Geht er etwa auch mit?«
»Nein, Griffin bleibt hier. Mach dir keine Sorgen.«
Jolly stieg die Röte ins Gesicht. Sie fühlte sich ertappt.
»Pass auf dich auf, Jolly.« Soledad zog sie an sich und umarmte sie fest. »Denk an das, was ich dir gesagt habe. Du und Munk, ihr werdet dort unten aufeinander angewiesen sein.«
»Munk ist wütend auf mich.«
»Er wird sich schon wieder beruhigen. Wahrscheinlich sitzt er irgendwo und schmollt. Männer sind so, glaub mir.«
Sie sahen einander in die Augen. Jolly blinzelte eine Träne fort, bevor sie ihr über die Wange kullern konnte.
»Wir kommen zurück, egal, wie es ausgeht«, sagte Soledad.
»Ja«, antwortete Jolly schwach, »sicher.« Sie holte tief Luft, als wäre die Bürde auf ihren Schultern mit einem Mal doppelt so schwer geworden. »Ich habe Angst.«
»Die haben wir alle.«
Jolly schüttelte den Kopf. »Nicht vor dem Mahlstrom oder den Klabautern. Ich hab Angst davor, mit Munk dort unten allein zu sein. Er . er ist mein Freund, aber . Ach, ich verstehe selbst nicht, was los ist.«
»Vertraust du ihm nicht mehr?«
»Wenn ich das wüsste!«
»Und das ist das Schlimmste, nicht wahr? Die Ungewissheit.«
Jolly umarmte sie erneut. »Ach, Soledad, ich würde lieber mit jedem anderen dort runtergehen. Mit jedem von euch.«
Die Prinzessin barg Jollys Kopf an ihrer Schulter und schwieg.
Die Wahrheit über Spinnen
Der Plan des Geisterhändlers war so wahnwitzig wie einleuchtend. Dahinter stand eine Geschichte, die man sich in der ganzen Karibik erzählte.
Vor ein paar Monaten war einer der mächtigsten Antillen-Kapitäne, ein gewisser Santiago, von seinen Männern auf einem unbewohnten Eiland ausgesetzt worden. Die Mannschaft hatte gemeutert, weil sie sich bei der Verteilung ihrer Beute von ihrem Kapitän hintergangen fühlte (und wer Santiago kannte, wusste, dass ihr Gefühl sie gewiss nicht getrogen hatte). Die Männer hatten eine Insel angesteuert, kaum mehr als eine abgeschiedene Sandbank, und ihren betrügerischen Anführer dort an Land gesetzt. Auf eigenen Wunsch hatte man ihm als Verpflegung nur ein großes Fass Rum mit auf den Weg gegeben - auch dies entsprach ganz und gar Santiagos Wesen.
Niemand weinte ihm eine Träne nach,
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