Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
Drei gesattelte Hippocampen schaukelten ruhig neben ihnen im Wasser. Stallburschen hielten das Zaumzeug, tätschelten den Hornpanzer der Tiere und flüsterten ihnen beruhigende Worte zu.
Walker grinste Jolly entgegen, während der Händler bedächtig nickte und nur ein brummiges »hmm, hmm« verlauten ließ. Vielleicht hatte er befürchtet, Jolly würde die Abreise der Freunde nicht gutheißen und sich weigern, Soledad zu den Stallungen zu begleiten. Seine beiden Papageien waren nirgends zu sehen; sie sollten als Beobachter in Aelenium bleiben, um im Falle eines Angriffs rasch über die See zu fliegen und ihren Meister zu warnen.
Walker nahm Jolly in den Arm. Sie zuckte kurz zusammen, so heftig war sein Griff. »Lass dich von diesen Dummköpfen nicht unterkriegen, Kleine! Denk immer daran: In besseren Zeiten würden wir den ganzen Laden ausrauben, diese Pudernasen ins Meer treiben und die Stadt versenken.«
Jolly setzte ihre finsterste Piratenmiene auf und nickte.
»Und noch was«, sagte Walker, bevor er sie losließ.
»Rümpft einer von denen über dich die Nase, brich sie ihm. Schlag einfach mitten drauf! Alles klar?«
»Alles klar!«
Auch Soledad drückte sie noch einmal an sich. »Wir sind einen ganz schön weiten Weg miteinander gegangen, von Kenndricks Loch auf New Providence bis hierher, was?«
Jolly grinste. »Stimmt.«
Die Prinzessin knuffte sie sanft gegen die Schulter.
»Verdammt, wer hätte das gedacht?« Sie atmete tief durch, sah einen Moment lang aus, als wollte sie noch etwas hinzufügen, schüttelte dann aber den Kopf und trat zurück, um den Geisterhändler vorzulassen.
»Gib auf dich Acht«, sagte er, als er vor Jolly in die Hocke ging, um sein eines Auge auf Höhe ihres Gesichts zu bringen. »Du bist ein tapferes Mädchen. Und ganz gleich, was Munk mit den Muscheln bewirken mag - er braucht jemanden wie dich, der den Weg mit ihm geht.«
»Und ich werde ihn brauchen, da unten am Schorfenschrund.«
»Wenn alles klappt, sind wir zurück, ehe ihr aufbrecht«, sagte er. »Wenn nicht… nun, ihr beiden seid die Einzigen, die es schaffen können.«
Er klopfte ihr auf die Schulter und trat zurück, ohne sie zu umarmen. Die drei stiegen auf ihre Seepferde, winkten noch einmal, dann lenkten sie die Tiere auf eine Öffnung in der Korallenwand zu. Niemand sonst war gekommen, um sie zu verabschieden. Jolly vermutete, dass der offizielle Abschied bereits stattgefunden hatte, im Ratssaal des Grafen vielleicht oder in einer anderen Halle des großen Korallenpalastes. Aber weshalb war Buenaventure nicht erschienen? Und Griffin?
Sie gab sich einen Ruck und lief den Mittelsteg entlang zum Ausgang der Stallungen. Unter dem Torbogen blieb sie stehen, beschattete die Augen mit der Hand und blickte über das Wasser. In der Ferne sah sie die drei Reiter auf ihren Hippocampen immer kleiner werden, ehe sie in der wogenden Nebelwand verschwanden. Eine letzte Schliere verriet die Stelle, an der sie in den Dunst eingedrungen waren, doch nur für einen kurzen Moment, dann verebbte alles zu einförmigem Grau.
Jolly blieb noch lange stehen, ohne auf das Murren der Stallknechte zu achten, denen sie im Weg herumstand. Trauer erfüllte sie, als hätte sie ihre Freunde zum letzten Mal gesehen. Das Wispern der Wellen klang wie eine Einladung, hinter ihnen her hinaus aufs Meer zu laufen, fort von Aelenium und den Menschen, die hier lebten; fort vom Mahlstrom und dem Mare Tenebrosum; fort vor einer Verantwortung, die sie nicht tragen wollte.
Was würde Griffin von ihr denken, wenn sie sich einfach davonstahl? Würde er sie für einen Feigling halten? Vielleicht.
Was aber, wenn sie einen guten Grund hätte, der schwerer wog als ihre Angst? Wenn sie sich wie Soledad wieder an ihr eigentliches Ziel erinnerte?
Würde er sie verstehen?
Ja, dachte sie, Griffin versteht mich. Ganz sicher sogar.
Plötzlich hatte sie eine Idee, und sie wunderte sich, dass ihr dieser Gedanke nicht schon viel früher gekommen war. Sie warf noch einen letzten Blick auf die Nebelwand, dann lief sie schnell die Treppen und Gassen zum Palast hinauf. Aufgeregt stürmte sie in ihr Zimmer und durchsuchte ihre Sachen nach dem Kästchen mit der toten Spinne, dem einzigen Beweis dafür, dass sie sich den Überfall der Giftspinnen auf die Magere Maddy nicht eingebildet hatte. Nicht dass sie ihrer eigenen Erinnerung misstraute. Dennoch war es ein beruhigendes Gefühl, ein Zeugnis dieser Katastrophe in der Hand zu halten - selbst wenn es acht Beine und
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