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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hässliche Borsten hatte.
    Mit Schatulle und Spinne eilte sie weiter in die Große Bibliothek, nicht in Urvaters Büchersaal, sondern ins Hauptgebäude. Dort begann sie mit ihrer Suche.
    Die Spinne hatte einen lateinischen Namen, den Jolly in Silben zerlegen musste, um ihn zu lesen. Als sie ihn laut vor sich hin sagte, klang es immer noch, als buchstabiere sie ihn, statt ihn in einem Wort auszusprechen.
    Es war später Nachmittag gewesen, ehe sie endlich in diesen Teil der Bibliothek vorgedrungen war. Bewaffnet mit einer Leiter und einem Fernrohr hatte sie Saal für Saal durchforscht, von den niedrigen Buchstapeln bis zu den höchsten. Erst als sie schon fast aufgeben wollte, war sie zufällig durch eine schmale Tür getreten und hatte dahinter die Abteilung für Lebewesen des Dschungels und Darmerkrankungen in tropischem Klima entdeckt -offenbar kein allzu gefragtes Thema unter den Weisen Aeleniums.
    Nach der langen Suche mutete es fast wie ein Fingerzeig des Schicksals an, dass das Buch mit der gesuchten Information ganz oben auf einem Stapel lag, der sich gleich neben dem eingestaubten Lesepult erhob. Es war vor rund drei Jahrzehnten von einem Mönch verfasst worden, der - wie Jolly einer kleinen Notiz im Anhang entnahm - kurz nach Fertigstellung des Buches bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen war.
    Auf Seite vierhundertsechsundzwanzig entdeckte sie eine erste Spur, die ihr womöglich Aufschluss über Bannons Schicksal geben mochte. Wieder und wieder verglich sie die auffällige Zeichnung des Spinnenkadavers in der offenen Schatulle mit der Illustration in dem Folianten.
    Demnach stammte die Spinnenart, der das tote Tier in dem Kästchen angehörte, aus einer Region an der Küste Südamerikas. Nicht irgendeiner Küste, nicht irgendeiner Region - sondern ausgerechnet aus einer Gegend, die Jolly heute schon einmal untergekommen war, in ihrem Gespräch mit Soledad.
    Das Delta des Orinoco.
    Jener Teil des Dschungels, in den sich der legendäre Captain Tyrone geflüchtet hatte und wo er angeblich auch heute noch als grausamer Despot über ein Volk von Menschenfressern und Piraten herrschte.
    Ein Zufall? Möglich, aber höchst unwahrscheinlich.
    Die Spinnen, die in den gerefften Segeln der Galeone auf die enternden Piraten der Mageren Maddy gelauert hatten; die Spinnen, denen Jolly mit Mühe und Not entkommen und denen alle anderen Besatzungsmitglieder zum Opfer gefallen waren - sie entstammten dem Kannibalenreich des Captain Tyrone.
    Jolly holte erschrocken Luft, atmete dabei eine Ladung Staub ein und hustete eine halbe Minute, ehe sie sich wieder beruhigte. Dann verglich sie noch einmal die hellbraune Musterung des Spinnenkadavers mit der Illustration. Es gab keinen Zweifel. Auch den Text durchforstete sie erneut, aber es gab keinen Hinweis darauf, dass diese Spinnenart auch in anderen Gegenden vorkam.
    Es passte alles zusammen. Der Hinterhalt, die Spinnen und die plötzliche Bereitschaft Tyrones, nach so langer Zeit wieder gemeinsame Sache mit den Piraten zu machen.
    Aber warum das alles? Weshalb sollte ein Mann wie Tyrone Bannon eine solche Falle stellen? Welches Interesse hatte er an der Mannschaft, dem Schiff - oder an Jolly?
    Angenommen, Tyrone hätte es tatsächlich auf die Quappe an Bord von Bannons Schiff abgesehen -bedeutete dies, dass es eine Verbindung zwischen ihm und dem Mahlstrom gab? Oder war da etwas, das sie übersehen hatte?
    Eines jedenfalls stand fest: Sie hatte jetzt eine Spur. Zum ersten Mal seit dem schrecklichen Überfall der Giftspinnen spürte Jolly echte Hoffnung in sich aufkeimen. Falls Tyrone ihnen die Falle gestellt hatte, dann bestand tatsächlich die Möglichkeit, dass er Bannon und seinen Leuten rechtzeitig das Gegenmittel verabreicht hatte. Immer vorausgesetzt, er hatte ein Interesse, Bannon lebendig in seine Finger zu bekommen.
    Jolly schlug das Buch zu. Staub wölkte empor und verschleierte die Sicht. Als er sich setzte, lag die Bibliothekskammer wieder so still und ausgestorben da wie in all den Jahren zuvor.
    Nachts war das Meer rund um Aelenium schwarz wie ein bodenloser Abgrund. Der Nebelring schluckte einen Großteil des Sternenlichts. Deshalb hatte Hauptmann d’Artois Befehl gegeben, riesige Feuer auf Flößen zu entfachen. Ihr Schein sollte die Nacht erhellen und die Verteidiger vor Angriffen der Klabauter warnen. Lodernd trieben die Plattformen auf dem dunklen Wasser, aber ihre Lichtkreise waren bei weitem nicht groß genug, um die gesamte Oberfläche auszuleuchten.

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