Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
aber im Inneren . da steckt viel mehr in ihr. Dinge, die ich bei Munk nicht sehe.« Er stieß einen weiteren Seufzer aus. »Und deshalb, Griffin, ist es mir gleichgültig, was die anderen über seine Fähigkeiten denken. Alles fauler Zauber, sage ich. Worauf es ankommt, das steckt hier drinnen.« Er deutete auf sein Herz. »Das ist die Kraft, die wir brauchen. Und davon hat Jolly hundertmal mehr als er.«
»Ich weiß, was Sie meinen.« Griffin vermisste sie mit jedem Satz des Hauptmanns mehr. Die Vorstellung, dass sie fort war, schnürte ihm fast die Kehle zu. Warum nur hatte sie ihn nicht mitgenommen? Warum hatte sie sich nicht einmal verabschiedet?
»Ich kann sie nicht zurückholen«, sagte der Hauptmann, und diesmal lag eine seltsame Betonung in seinen Worten. »Ich habe versprochen, Urvater zu gehorchen, und das werde ich tun. Ein anderer vielleicht, jemand, der sich meinem Befehl womöglich widersetzen würde . aber nicht ich selbst.«
Erneut trafen sich ihre Blicke. Griffins Herzschlag raste.
»Wie wär’s, wenn ich hier oben deine Wache übernehme?«, fragte der Hauptmann.
»Sie wollen… Sie meinen .«
Noch ein Blick, dann wandte d’Artois sich wieder dem Panorama der Nacht zu. »Ich brauche Ruhe, um nachzudenken. Dies ist ein guter Ort dafür. Ich komme oft hier herauf, besonders nachts. Du kannst ruhig zu Bett gehen, wenn du willst.«
Griffin packte seinen Säbel, schob ihn in den Gürtel und stürmte der Treppe entgegen. Tausend Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf. Zu Bett gehen … Er verstand nur zu gut, was d’Artois meinte.
Vor den Stufen blieb er noch einmal stehen, stammelte ein halb verschlucktes »Zu Befehl!«, dann sprang er die Treppe hinunter. Er hatte das Gefühl, dass d’Artois ihm aus den Augenwinkeln nachblickte. Und dabei lächelte.
Die Stufen schienen sich von selbst zu vermehren, niemals in den Tagen zuvor waren es so viele gewesen. Griffin nahm immer drei auf einmal, schließlich sogar vier.
Unten angekommen rannte er durch die verlassenen Gassen bergabwärts. Hinter den meisten Fenstern brannten keine Kerzen, es war kurz vor Mitternacht, die Leute hatten sich schlafen gelegt. Auch der nächste Tag würde für die meisten von ihnen mit tausend Aufgaben angefüllt sein, die eine bevorstehende Belagerung mit sich brachte: Das Füllen und Stapeln von Sandsäcken an den wichtigsten Verteidigungspositionen; das Errichten von Schutzwällen; das Anlegen von Notrationen in den Häusern, aber auch in den Fluchtkammern tief unter der Stadt; das Schärfen aller Klingen, die Reinigung von Gewehr- und Pistolenläufen.
Griffin schaute nicht nach rechts, nicht nach links. Sein Denken kreiste um Jolly, um ihr Lächeln, darum, wie sich ihre Haut unter der Tätowierung angefühlt hatte, um ihre Stimme und das Blitzen in ihren Augen, wenn sie ihn neckte. Und um das, was ihr bevorstand: ihr Weg in die Dunkelheit an der Seite Munks.
Dieser letzte Gedanke war es, der ihn vor dem Eingang der Stallungen zögern ließ. Er blieb stehen, versuchte, wieder zu Atem zu kommen, und lehnte sich mit einer Hand an den Torpfosten. Wollte er Jolly überhaupt nach Aelenium zurückholen? Wollte er wirklich, dass sie zum Schorfenschrund hinunterging, auf eine Mission, die sie vielleicht das Leben kosten würde?
Womöglich hatte sie das einzig Richtige getan, als sie der Stadt den Rücken gekehrt hatte. So war sie bald außer Gefahr. Und das war es doch, worauf es ankam. Worauf es ihm ankam.
Aber dann schlich sich eine Gewissheit in seine Gedanken ein, die ihn schlagartig ernüchterte. Jolly war kein Feigling. Sie lief nicht davon, nicht einmal vor dem Mahlstrom und dem Schorfenschrund. Wenn sie Aelenium verlassen hatte, dann steckte etwas anderes dahinter. Etwas, das nichts mit Angst zu tun hatte und mit Sicherheit nicht weniger gefährlich war.
Er betrat die Stallungen und rannte den Mittelgang entlang. Trotz der nächtlichen Stunde waren mehrere Stallburschen bei der Arbeit. Wegen der Patrouillen mussten ständig einige von ihnen einsatzbereit sein. Sie blickten Griffin erstaunt hinterher, als er wie von Teufeln gejagt zu dem Becken lief, in dem sein eigenes Seepferd mit offenen Augen schlief.
Ungeschickt machte er sich daran, es zu satteln, ehe ihm einer der erfahreneren Stallknechte zu Hilfe kam. Der Mann stellte keine Fragen, das stand ihm nicht zu; aber sein Stirnrunzeln ließ erkennen, dass ihn der späte Aufbruch des Jungen misstrauisch machte.
Wenige Minuten später war Griffin
Weitere Kostenlose Bücher