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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erkennen, die dort draußen vor Anker lagen. Nur drei oder vier Schritt von der Felskante entfernt, ragte der halb zerfallene Dachstuhl des Kirchturms empor. Die übrigen Ruinen der Siedlung lagen etwa fünfzig Fuß tiefer im Dickicht des Dschungels verborgen.
    Die alte Feuerstelle, in der auch jetzt wieder Flammen
    loderten, musste noch aus der Zeit der Siedler stammen.
    In rostigen Halterungen an den Felswänden steckten Fackeln. Die Schatten, die von dem Licht der Flammen geworfen wurden, fielen einschüchternd groß über das raue Gestein.
    »Wir hören dir zu«, sagte der Kapitän, der zu Kenndricks Rechter saß. »Sprich weiter.« Er war ein rauer Seebär mit einer Stimme, die Rum und Whiskey schon vor Jahrzehnten in ein heiseres Röcheln verwandelt hatten. Er trug einen dunkelroten Gehrock mit breitem Kragen und eine schwarze Schärpe quer über der Brust. Sein gefiederter Dreispitz lag vor ihm auf dem Tisch, gleich neben einem silbernen Weinkelch. Soledad kannte seinen Namen, so wie sie alle hier versammelten Männer benennen konnte. Rouquette war der Älteste in der Runde und führte das Wort, so wollte es die Tradition.
    Kenndrick hatte sich neben ihn gesetzt, nachdem er Soledad an den Tisch geführt hatte. Walker und der Geisterhändler standen außerhalb des Kreises. Sie waren nicht entwaffnet worden, doch Kenndricks Männer behielten sie mit blankgezogenen Klingen im Auge. Auch Soledads Wurfmesser steckten noch in ihrem Gürtel.
    »Wir haben deinen Vater geschätzt«, sagte ein anderer Mann, bevor die Prinzessin fortfahren konnte. Er war jünger als Rouquette, hatte schwarze Locken und eine Augenklappe, in deren Mitte ein Rubin blitzte, groß genug, um damit eine kleine Insel zu kaufen. Sein Name war Galliano. »Wenn wir auch deinen Vater nicht als unseren Anführer anerkannt haben, hatten wir doch nie Streit mit ihm und haben ihn stets zu unseren Verbündeten gezählt.«
    »Ihr alle wisst, dass Kenndrick meinen Vater ermordet hat. Danach hat er den Leichnam durch die Straßen Port Nassaus zerren lassen wie einen toten Hund.«
    Keiner der Anwesenden verzog eine Miene.
    »Ihr alle wisst es«, sagte Soledad noch einmal, »und euch allen ist klar, dass ich ein Recht auf Vergeltung habe.« Sie deutete auf Kenndrick. »Und auf seinen Platz in dieser Runde.«
    »Noch nie hat es eine Kaiserin der Piraten gegeben«, sagte Rouquette. »Doch uns soll es gleich sein. Wir achten dich für deinen Mut, Prinzessin. Aber glaubst du ernsthaft, dass die Piraten von Tortuga und New Providence ein Weibsbild an ihrer Spitze akzeptieren?«
    »Wenn dieses Weibsbild ihnen Kenndricks Kopf vor die Füße wirft, werden sie das tun müssen.«
    »Deine Vergeltung hat nichts mit deinem Anspruch auf den Thron zu tun, Soledad. Und sie kann nicht Sache dieser Runde sein. Wir sind hier nicht in Port Nassau.«
    Zustimmendes Gemurmel erklang aus dem Kreis der übrigen Kapitäne. Einer klopfte beipflichtend mit seiner Pfeife auf den Tisch. Das Pochen wurde von den Felsen zurückgeworfen und hallte hinaus in den Dschungel.
    »Vielleicht werdet ihr eure Meinung ändern, wenn ich euch sage, dass der ganzen Karibik - auch den Kleinen Antillen - eine Gefahr droht, der wir nur gemeinsam entgegentreten können. Alle Piraten gemeinsam, ganz gleich, ob sie ihre Beute auf Martinique oder New Providence feilbieten.«
    Kenndrick winkte mit einem dreckigen Lachen ab.
    »Was für eine billige List. So etwas sollte sogar unter deiner Würde sein.«
    »Ich bin nicht nur hier, um mein Recht zu fordern«, fuhr Soledad fort, ohne seinen Einwurf zu beachten.
    »Meine Warnung ist ernst. Uns allen droht eine tödliche Gefahr.«
    »Wovon redest du?«, fragte ein Kapitän mit gegabeltem schwarzem Bart. Sein rechter Arm endete in einer dreizackigen Forke, mit deren Enden er wieder und wieder über die Tischplatte kratzte. »Wer bedroht uns? Eine spanische Armada wie die vor New Providence? Gar ein Bündnis der Spanier mit den Engländern?« Das war absurd, und er sagte es in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er Soledads Warnung für eine Finte hielt.
    Sie wählte ihre Worte jetzt sehr sorgfältig. Einen meilenbreiten Mahlstrom, grausame Wesen aus einer anderen Welt und einen Kriegszug der Klabauter würde in diesem Moment niemand hier ernst nehmen.
    Sie musste die Sache anders angehen. »Es ist eine Gefahr, die wie ein Sturm über uns alle hinwegfegen wird und gegen die keiner von uns allein eine Chance hat.«
    »Hört, hört«, rief Kenndrick und

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