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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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»Hast du Schmerzen?«, flüsterte er besorgt. »Hat er dich verletzt?«
    »Alles in Ordnung«, gab sie gepresst zurück und setzte leiser hinzu: »Noch.«
    Tyrone lächelte. Die beiden Reihen der spitz gefeilten Zähne blitzten hinter seinen Lippen wie grobe Sägeblätter. Aber er sparte sich jeden Kommentar zu dem Paar an der Felskante und blickte stattdessen von einem Antillen-Kapitän zum nächsten. Schließlich verharrte sein Blick auf dem Geisterhändler. Schweigend starrten die beiden Männer einander an. Der Händler verzog keine Miene, zeigte nicht die geringste Spur von Unsicherheit.
    Tyrones Lächeln wurde noch breiter.
    Soledad kämpfte gegen den Schwindel an. Die Gestalten vor ihr verschwammen. Kannten sich die beiden etwa?
    Der stumme Augenblick zwischen den Männern verging, und Tyrone wandte sich wieder an die versammelten Kapitäne. Hinter ihm wurde der bewusstlose Kenndrick von zwei seiner Männer aufgehoben und zur Treppe getragen.
    »Schade«, sagte Tyrone ohne jedes Mitgefühl, »dass wir auf seine Anwesenheit verzichten müssen.«
    »Kenndrick ist nicht mehr länger Anführer der Piraten von Tortuga und New Providence«, verkündete Rouquette. Offenbar war er nicht länger gewillt, den herrischen Auftritt des Kannibalenkönigs hinzunehmen. »Prinzessin Soledad hat ihr Anrecht auf den Thron verteidigt. Sie soll die Verhandlungen an seiner Stelle fortführen und für ihre Leute sprechen.«
    Soledad wurde mit einem leichten Schaudern bewusst, dass er damit nicht etwa Walker und den Geisterseher meinte, sondern alle Piraten zwischen den Bahamas und den Virgin Islands. Sie hatte Kenndrick im Kampf geschlagen. Aber er war lediglich verletzt, und sie war nicht sicher, ob das genügte. Würde in Port Nassau oder auf Jamaica der Ausgang des Kampfes akzeptiert werden?
    Tyrone hatte offenbar dieselben Bedenken, und er scheute sich nicht, sie auszusprechen. »Kenndrick hat diese Versammlung einberufen, nicht das Mädchen. Es ist sein Plan, der mich hierher geführt hat. Da ich in alles eingeweiht bin, erlaubt mir, dass ich für Kenndrick spreche.« Von erlauben konnte gar keine Rede sein, daran ließ sein Tonfall nicht den geringsten Zweifel.
    »Prinzessin Soledad wollte uns vor etwas warnen, bevor Ihr eingetroffen seid, Tyrone«, ergriff Galliano das Wort.
    »So? Für mich sah es aus, als wollte sie sich gerade das Genick brechen.« Mit einem Haifischgrinsen drehte er sich zu Soledad und Walker um. Er runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass Soledad direkt hinter ihm stand, nicht länger gestützt, sondern breitbeinig und aus eigener Kraft.
    »Tyrone«, sagte sie ihm kühl ins Gesicht, »Ihr seid hier ebenso zu Gast wie ich, und ich frage mich, was Euch dazu bringt, für Kenndrick oder einen der anderen Kapitäne das Wort zu führen. Falls sie sich das gefallen lassen - gut, das ist nicht meine Sache. Aber für mich werdet Ihr nicht sprechen.«
    Der Angriff war unüberlegt und vielleicht unvernünftig, aber Soledad hatte die Nase voll von Tyrones Herrschaftsgebaren. Am Festland mochte er über ein paar tausend Kannibalen befehlen, doch hier draußen auf Saint Celestine war er nur ein Pirat wie alle anderen.
    Tyrone deutete eine zynische Verbeugung an. Die scharfe Erwiderung, mit der sie gerechnet hatte, blieb allerdings aus. »Dann erklärt uns Euren Plan. Wie steht es um den Angriff auf Caracas, wegen dem wir uns alle hier versammelt haben?«
    Caracas? Hatte Kenndrick allen Ernstes einen Angriff auf eine der reichsten und stärksten spanischen Küstenfestungen, geplant? Hatte er sie damit hergelockt? Bei allen Heiligen, er war wahnsinniger, als sie angenommen hatte.
    »Ich bin nicht wegen Caracas hier«, sagte sie, »sondern um euch alle vor einer Gefahr zu warnen, die schon in wenigen Tagen oder Wochen über uns hereinbrechen könnte.«
    Tyrone blieb ruhig. Er hörte zu.
    Soledad wechselte einen blitzschnellen Blick mit dem Geisterhändler und sah, wie er fast unmerklich nickte.
    »Die Klabauter haben sich zu einem gewaltigen Heerzug vereint.« Spätestens jetzt gab es kein Zurück mehr. »Sie sammeln sich im Norden der Kleinen Antillen, draußen im Atlantik. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen, tausende von ihnen. Es heißt, dass sie von etwas befehligt werden, das sich Mahlstrom nennt.« Sie blieb in voller Absicht so vage, um den Kapitänen nicht allzu viel auf einmal zuzumuten. Sie bewegte sich auf dünnem Eis, und ihr war, als schüre Tyrone allein mit seinen Blicken ein Feuer unter ihren

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