Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
Füßen.
»Klabauter?« Galliano starrte sie an, und zu ihrem Schrecken wurde sie der Enttäuschung in seinem Blick gewahr. Augenscheinlich hatte er etwas Überzeugenderes erwartet. »Jeder weiß, dass die Tiefen Stämme untereinander verfeindet sind. Sie würden sich niemals zusammenschließen, ganz gleich zu welchem Zweck.«
Einige der anderen Kapitäne nickten. Ein dunkelhäutiger Mann schnaubte abfällig. »Das also ist deine große Gefahr, Prinzessin? Ein Ammenmärchen?«
»Es ist kein Märchen«, entgegnete sie entschieden.
»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Tiefen Stämme gen Osten gezogen sind. Die Klabauter sammeln sich. Und sie werden angreifen. Mir ist berichtet worden, dass sie bereits einmal das Wasser verlassen haben und an Land gegangen sind. Und sie werden es wieder tun.«
»Klabauter verlassen niemals das Wasser«, rief Tyrone aus, nicht als Erwiderung auf Soledads Worte, sondern als Appell. »Selbst ihre Häuptlinge haben Angst vor der Luft. Sie würden nie an Land gehen. Das ist vollkommen ausgeschlossen.«
»Und doch war es so.«
»Und was haben wir als Sicherheit? Dein Ehrenwort?« Rouquette musterte sie argwöhnisch. Sie war drauf und dran, sich ihre letzten Sympathien zu verscherzen.
»Das Wort der rechtmäßigen Kaiserin der Piraten«, sagte sie nachdrücklich, und dann fiel ihr noch etwas anderes ein: »Hat es nicht immer geheißen, auch die Kannibalenstämme lägen miteinander im Zwist? Trotzdem ist es Tyrone gelungen, sie zu vereinen. Weshalb soll das nicht auch mit den Klabautern gelingen?«
Tyrones Gesichtsmuskeln zuckten. »Kannibalen sind nur Menschen«, sagte er eisig. »Menschen fürchten sich, und das macht sie schwach und formbar. Aber Klabauter? Wovor hat ein Klabauter Angst?«
»Und wovor Kannibalen?«, konterte sie.
Jetzt herrschte angespanntes Schweigen unter den Antillen-Kapitänen. Hier zeichnete sich ein neuer Kampf ab, mit dem keiner gerechnet hatte. Ein Kampf ohne Enterhaken und Blutvergießen. Ein Kampf der Worte und des stärkeren Willens.
Tyrones Blicke durchbohrten die Prinzessin. Es fiel schwer, diesen Augen, die so viel Grausamkeit und Entsetzen versprachen, standzuhalten. Und doch behielt sie die Fassung.
Der Kannibalenkönig wirbelte herum. »Kapitäne!«, rief er in die Runde. »Dieses Mädchen verspricht euch einen Krieg mit den Klabautern. Ich gebe euch die Schatzkammern von Caracas.«
Soledad wollte aufbegehren, doch diesmal wurde sie von Rouquette unterbrochen: »Schweig, Soledad! Jetzt ist Tyrone an der Reihe.«
Der Kannibalenkönig schenkte ihr ein genüssliches Raubtierlächeln, dann ließ er sie stehen und begann, vor den Kapitänen auf und ab zu gehen. »In zwei Wochen soll ein großer Angriff der Karibikpiraten auf Caracas stattfinden. Ihr werdet sagen:,Das ist schon früher versucht worden, und alle sind daran gescheitert.’ Wohl wahr. Doch heute ist die Lage eine andere. Damals war es allein ein Angriff von der Seeseite, doch mit meiner Hilfe werden wir - und ihr, falls ihr einschlagt - die Stadt von der See und vom Land aus nehmen.«
Das Raunen der Kapitäne wurde Gemurmel, dann zu lautstarker Diskussion. Soledad warf dem Geisterhändler einen verzweifelten Blick zu, doch seine Miene blieb unergründlich. Walker stand irgendwo hinter ihr nahe der Felskante, aber er blieb auf Abstand, damit keiner der Kapitäne glaubte, sie brauchte in dieser Lage womöglich den Beistand eines Mannes.
Tyrone wartete, bis die Gespräche verebbten, dann setzte er seine Ansprache fort: »Sie gibt euch Klabauter«, sagte er noch einmal und genoss jede Silbe, »doch ich gebe euch Gold! Wenn sich alle Piraten der Karibik zu diesem Angriff zusammenschließen, werden dutzende von Schiffen den Hafen von Caracas unter Feuer nehmen -eine ganze Armada! Zeitgleich werde ich mit meinen Männern von der Landseite zuschlagen. Wir werden die Stadt in einem Handstreich einnehmen.«
»Von wie vielen Männern sprecht Ihr?«, fragte Galliano.
»Ja«, wollte auch der dunkelhäutige Kapitän wissen, »wie viele Männer befehligt Ihr?«
Tyrone trieb die Antwort wie einen Pflock in die Stille. »Fünftausend!«
Soledads Herz hämmerte in ihrer Brust. Eines war klar: Sie konnte vor den Kapitänen den kommenden Weltuntergang heraufbeschwören - aber gegen ihre Gier nach Gold kam sie auch damit nicht an.
»Fünftausend«, echote es aus der Menge.
»Achtzehn der größten Eingeborenenstämme«, bestätigte Tyrone, »und noch ein paar versprengte Gruppen gehorchen
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