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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Für ihre Freunde? Für den Kampf gegen den Mahlstrom? Sie war viel zu verwirrt, um Antworten darauf zu finden, deshalb stellte sie ihre Fragen laut.
    »Nichts bedeutet es«, sagte eine der Frauen.
    »Oder alles«, ergänzte eine andere.
    Wut stieg in Jolly auf. Wut über all das, was der Geisterhändler ihr die ganze Zeit vorenthalten hatte. Wut auch auf sich selbst, weil sie sich so schrecklich hilflos fühlte. Und Wut auf diese drei Frauen (die gewiss alles andere waren als gewöhnliche Frauen). Warum erzählten sie ihr von diesen Dingen, wenn sie ihr doch keine Lösung mit auf den Weg geben konnten?
    »Weil die Lösung erst am Ziel deiner Reise steht«, sagte eine Weberin. »Vielleicht.«
    »Du hast gedacht, alles ist einfach. Gehst zum Schorfenschrund, sperrst den Mahlstrom zurück in seine Muschel, und alles ist vorüber.«
    »Nichts ist vorüber.«
    »Nichts ist jemals vorüber.«
    Jolly stampfte zornig mit dem Fuß in den Sand. Der Staub vom Meeresgrund stieg empor, und ehe sie sich’s versah, umgab er sie wie Nebel. Sie trat eilig einige Schritte zur Seite, aber das machte es nur noch schlimmer.
    Erst als sich der Aufruhr wieder legte, sah sie, welchem Zweck er gedient hatte.
    Die Wasserweberinnen waren fort. Der Boden war glatt, die magischen Stränge verschwunden.
    Keine fünfzig Schritt entfernt lag das Wrack der Carfax, und das war es auch, was den Boden derart aufgewühlt hatte: Immer noch regnete es Trümmer, die rund um das Schiff im Sand einschlugen, ganz in Jollys Nähe.
    Doch ein Traum? Eine Sinnestäuschung durch den Sturz in die Tiefe?
    Nein, dachte sie. Ganz gewiss nicht.
    Ihre Beine waren wacklig, aber sie federte in den Knien, holte Schwung und stieß sich ab. Wie ein Pfeil schoss sie aufwärts ins Dämmerlicht, dem Kristalldach der fernen Oberfläche entgegen.
    Die Helligkeit des Tages kam näher, Sonnenlicht, das sich auf gläsernen Wellenkämmen brach. Weißgoldene Strahlen durchzogen die Oberfläche und verloren sich erst nach mehreren Mannslängen in der Tiefe.
    Von hier unten sah es aus, als fahre jemand mit einer goldenen Bürste durch die Wellen; die funkelnden Borsten kämmten die Wogen mal in diese, mal in jene Richtung.
    Jolly verlangsamte ihren Aufstieg wenige Fuß unter der Meeresoberfläche. Sie fragte sich, ob bereits Haie von dem Spektakel der Schlacht angelockt worden waren. Solange sie über das Wasser lief, war sie vor ihnen sicher. Aber wenn sie schwamm, war sie für die Raubfische eine Beute wie jeder andere Schiffbrüchige.
    Buenaventure!, schoss es ihr siedend heiß durch den Kopf. Wie hatte sie ihn und den Hexhermetischen Holzwurm vergessen können, während sie mit den Weberinnen in der Tiefe sprach? Hatte sie wertvolle Zeit vergeudet? Andererseits hatte man ihr kaum eine Wahl gelassen. Wie so oft in den vergangenen Wochen.
    Vorsichtig überwand sie das letzte Stück und stieß mit dem Kopf durch die Oberfläche. Das Glitzern der sonnenbeschienenen Wellenkämme blendete sie für einen Moment. Der ungewohnt niedrige Blickwinkel, aus dem sie das Meer erst ein paar Mal gesehen hatte, machte sie beklommen. Zum ersten Mal verspürte sie, eingeengt von all den Wassermassen, fast so etwas wie Platzangst.
    Die Quadriga war fort.
    Jollys erster Gedanke: Wie lange war ich wirklich dort unten? Und ihr zweiter: Wo sind Buenaventure und der Wurm?
    Schiffstrümmer konnten sich tagelang an der Oberfläche halten, je nach Beschaffenheit sogar länger. Die Tatsache, dass bis vor wenigen Augenblicken noch immer Teile auf dem Meeresgrund aufgeschlagen waren, bewies nicht, dass der Untergang der Carfax erst kurze Zeit zurücklag. Alles war möglich.
    Unsinn! Verrenn dich nicht in fixe Ideen. Du hast nur ein paar Minuten mit den Weberinnen gesprochen. Nur ein paar Minuten.
    Und dann entdeckte Jolly sie: drei Umrisse, die sich vom Horizont abhoben, schmal und hoch und merkwürdig geformt. Etwa zweihundert Fuß entfernt. Keine Schiffe, ganz bestimmt nicht. Im ersten Augenblick glaubte sie, die Weberinnen selbst seien aus dem Abgrund aufgestiegen.
    Einen Atemzug später erkannte sie die Wahrheit.
    Es waren Seepferdreiter!
    Menschen auf drei Hippocampen.
    »Ahoi!«, rief sie, so laut sie konnte. »Ich bin hier! Hier bin ich!«
    Sie stützte die Hände neben sich auf dem Wasser auf wie auf einer Kante und stemmte sich nach oben. In Windeseile stand sie aufrecht auf den Wellen. Sofort wurde ihr bewusst, dass es jetzt kein Zurück mehr gab: Im Umkreis von Meilen existierte kein erhöhter Punkt,

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