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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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auch der Stoff ihrer Kleider von eintönigem Grau. Die langen, fleischlosen Finger der Alten bedienten die Spinnräder flink und ohne überflüssige Bewegungen. Keine der drei blickte zu Jolly auf, als sie an ihnen vorüberwanderte. Aber sie sprachen abwechselnd, wenn auch nicht erkennbar war, in welcher Reihenfolge.
    »Aus dem Meer wurdest du erschaffen, kleine Quappe.«
    »Aus der Magie des Garns und aus der Macht des Wassers.«
    Jolly blieb stehen. Das Garn waren die magischen Adern, von denen sie schon in Aelenium gehört hatte. Dies hier war der Ort, an dem sie entsprangen. Ihr wurde ganz schwindelig bei dem Gedanken, wie viel Macht hier gebündelt war. Schon vom Schorfenschrund, an dem sich nur einige Adern überschnitten, hieß es, er stecke voller magischer Kraft. Aber das hier war der Ursprung, die Wurzel des Aderwerks. Und die drei Alten waren seine Schöpferinnen.
    Und damit, genau genommen, auch die Schöpferinnen von Jolly und Munk.
    Nein, widersprach sie sich selbst. Nicht mich haben sie erschaffen. Nur die Quappenmagie in mir. Aber irgendwie vermochte auch dieser Gedanke sie nicht zu beruhigen.
    Wer waren diese drei? Zauberinnen? Hexen? Göttinnen? Oder etwas, das sogar jenseits des Ursprungs der Götter lag?
    Augenblicke später erfuhr sie, wie nahe ihre Vermutung der Wahrheit kam.
    »Das Meer ist der Ort, aus dem alles Leben stammt«, sagte eine der Frauen. Ihre Finger tanzten um Spindel und Garn wie Insektenbeine. »Jedes Tier, jeder Mensch hat seinen Anfang im Ozean. Aus dem Wasser wurden die ersten Lebewesen geboren, und das Wasser hat sie zu dem gemacht, was sie heute sind.«
    Jolly nickte ungeduldig. Etwas Ähnliches hatte sie schon einmal gehört. Hatte der Koch Trevino davon erzählt, während einem seiner Vorträge über Gott und die Welt, die er stets in volltrunkenem Zustand hielt?
    »Auch die Götter kamen einst aus dem Meer.«
    »Nicht alle aus diesem Meer.«
    »Nicht aus diesem Wasser.«
    Jolly ging vor einer der Frauen in die Hocke, um ihr ins Gesicht zu blicken. Sie hatte jetzt keine Angst mehr, spürte nicht einmal Scheu vor ihnen. Wie ein Tierjunges, das selbst Monate nach der Geburt seine Mutter noch am Geruch erkennt, überkam nun auch Jolly ganz unvermittelt ein Gefühl tiefer Vertrautheit.
    Eine Aura des Wundersamen umgab die drei Weberinnen wie etwas, das sie aus Träumen kannte.
    »Nicht aus diesem Wasser«, echote sie flüsternd, und dann weiteten sich ihre Augen. »Aus dem Mare Tenebrosum? Ist es das, was ihr meint?«
    »Dem ältesten aller Meere«, sagte die Frau vor ihr, und eine andere pflichtete bei: »Der Mutter aller Ozeane.« Und die dritte sagte: »Dem Vater allen Wassers.«
    Aufgeregt versuchte Jolly, den Worten der Weberinnen zu folgen. Was war das für Gerede über Götter? Sie glaubte nicht mal an einen Gott, geschweige denn an mehrere.
    »Sie haben alle gelebt.«
    »Und sie leben noch immer.«
    »Aber sie sind keine Götter mehr.«
    »Oder das, was ihr Menschen darunter versteht.«
    »Sie sind geworden wie ihr.«
    »Fast wie ihr.«
    »Sie haben ihre Macht verloren, seit sie all das hier geschaffen haben.«
    »Diese Welt hat sie all ihre Kraft gekostet.«
    »Sie hat sie leer gesaugt.«
    »Aber damit kein Mächtigerer ihnen nachfolgt, von drüben aus dem Meer der Meere, haben sie den Eingang verschlossen und argwöhnisch darüber gewacht.«
    »Viele Zeitalter lang.«
    »Sie haben sich verkrochen und den alten Tagen ihrer Macht nachgetrauert. Um dem Wasser nahe zu sein, aus dem sie geboren wurden, ließen sie sich in einer Stadt auf dem Meer nieder, die ihnen zugleich als Versteck und Festung diente.«
    »Eine Stadt, die den Durchgang versiegelt.«
    »Aelenium.«
    Obwohl Jolly unter Wasser atmen konnte, bekam sie einen Moment lang vor Aufregung keine Luft. »Ihr wollt damit sagen, die Menschen von Aelenium… sind gar keine Menschen? Sondern Götter?«
    »Nicht alle.«
    »Nur noch wenige.«
    »Sie waren zu schwach, sogar für die einfachsten Dinge. Viele vergingen, sie sind einfach verschwunden.«
    »Wie ein Traum im ersten Sonnenstrahl.«
    »Keiner erinnert sich mehr an sie.«
    »Sie brauchten Hilfe und lockten Menschen durch den Nebel nach Aelenium. Menschen, die Aufgaben für sie übernahmen.«
    »Aber diese Menschen bekamen Kinder. Und die bekamen wieder Kinder. Generation um Generation.«
    »Und während die alten Götter starben, die sich nach Aelenium zurückgezogen hatten, wuchs die Anzahl der Menschen. Heute sind nur noch wenige der ursprünglichen Bewohner

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