Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
stieß sie von sich. Völlig verwirrt flog sie zur Seite und polterte gegen die Wand, wollte aufbegehren - und sah die Gestalt, die gebeugt hinter ihr gestanden hatte, den Säbel erhoben, um ihr mit einem einzigen Schlag den Schädel zu spalten.
Tyrones Blick war trüb, sein Mund stand einen Spaltbreit offen.
Er drehte sich zu ihr um. Sein überhebliches Lächeln war verschwunden, und jetzt war da nur noch Hass in seinen Zügen. Die verlaufene Kriegsbemalung sah aus, als hätte jemand mit den Fingern tiefe Furchen in ein Gesicht aus Lehm gezogen.
» Nein !« Walker brüllte auf, als er begriff, dass Tyrone seinen Säbel wie eine Lanze auf Soledad schleudern wollte.
»Fahr zur Hölle!«, flüsterte der Kannibalenkönig.
Sie wollte sich zur Seite rollen, als etwas sie ablenkte und eine Sekunde zögern ließ.
Etwas donnerte wie ein zorniger Stier zur Tür herein. Stahl blitzte.
Tyrone warf den Säbel.
Sie drehte sich im letzten Moment, aber nicht weit genug. Die Klinge bohrte sich in ihre rechte Schulter und schleuderte ihren Oberkörper zurück auf den Boden.
Die mächtige Gestalt, die hinter Tyrone heranraste, schlug noch im Laufen zu. Eine gezahnte Säbelklinge schnitt durch Tyrones schwarzen Pferdeschwanz. Es polterte zweimal, als der tote Kannibalenkönig zu Boden fiel.
Der Schmerz in ihrer Schulter raubte Soledad die Sinne. Sie stöhnte leise, hob noch einmal den Kopf und blickte auf den Stahl, der in ihrer Schulter steckte.
»Oh, verdammt«, flüsterte sie tonlos.
Walker robbte am Boden auf sie zu und fing gerade noch ihren Hinterkopf auf, als sie das Bewusstsein verlor. Bevor ihr schwarz vor Augen wurde, sah sie ihn über sich, erschrocken und voller Sorge.
Neben ihm war noch ein zweites Gesicht.
Erstaunlicherweise war es das eines Hundes.
»Griffin!« Munk stolperte erneut auf die Füße. »Hör auf mit diesem Blödsinn!«
Blödsinn war eigentlich ein viel zu freundliches Wort für das, was Griffin im Sinn hatte. Allerdings kamen ihm, als er den Rochen zum dritten Mal knapp über Munk hinwegfegen ließ, erstmals ernsthafte Zweifel. War er vielleicht in Gedanken noch immer inmitten einer Schlacht, in der man blindlings in alle Richtungen austeilte und sich keine Gedanken machte über Schuld oder Unschuld? Was war aus Prinzipien geworden wie Fairness oder Gerechtigkeit?
Kurzum: Hatte er eigentlich völlig den Verstand verloren?
Erschrocken über sich selbst, zügelte er den Rochen und ließ ihn erneut umkehren, diesmal jedoch viel langsamer. Er flog bis auf wenige Schritte an Munk heran, der außer Atem und auf allen vieren zwischen den Wellen kauerte und zu ihm aufblickte.
Griffin räusperte sich. Er spürte, wie ein wenig von seiner Anspannung und Aggression von ihm abfiel, nicht aber die panische Angst um Jolly.
»Wo ist sie?«, rief er zu dem Jungen hinunter.
»Ich weiß es nicht, verdammt.« Munk sah aus, als wäre er nahe daran, in Tränen auszubrechen. Noch aber behielt er sich unter Kontrolle. »Als plötzlich alles… hell wurde, da ist sie . da sind wir getrennt worden. Es ging so schnell. Von überall kam Wasser, und im selben Moment . ich weiß nicht, es war, als griffe etwas nach mir - wie ein Tunnel durchs Meer - und zog mich fort . irgendwohin. Und mit einem Mal war ich plötzlich an der Oberfläche und . und ich hab keine Ahnung, wo sie ist, Griffin. Ich weiß es einfach nicht.«
»Ihr wart zusammen da unten?«, fragte Griffin.
»Im Mahlstrom?«
»Mittendrin.« Munks Gesicht war jetzt ein Spiegel seiner Verzweiflung und Wut. »Und, verfluchter Mist, ich hab’s nicht geschafft, lebend hier oben anzukommen, nur um dann von einem Rochen über den Haufen geflogen zu werden! Ich hab Jolly nichts getan. Die Perle… die Magie ist… ich weiß nicht, explodiert, und da war all das Licht, und dann… und dann .« Er verschluckte sich und verstummte.
Das schlechte Gewissen regte sich in Griffin mit aller Macht, und er fühlte sich mit einem Mal hundsmiserabel. Hatte er wirklich vorgehabt, Munk umzubringen? Gütiger Himmel, was hatte dieser schmutzige Krieg ihnen angetan, dass nun schon Freunde aufeinander losgingen?
»Wenn ich nah genug ans Wasser runterkomme* kannst du dann aufsteigen?«, fragte Griffin.
»Ich denke schon.«
Griffin ließ den Rochen um einige Grad beidrehen und so tief nach unten absinken, dass die Wellenkämme gegen den Bauch des Tiers klatschten. Munk bekam den Rand einer Schwinge zu fassen und zog sich daran empor. Atemlos und sichtlich geschwächt,
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