Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
kletterte er hinter Griffin in den Sattel.
»Tut mir Leid«, sagte Griffin, und er meinte es ehrlich. »Ich . ich weiß nicht, was eben in mich gefahren ist.«
»Du hast es wegen Jolly getan«, brachte Munk kraftlos hervor. Es klang nicht wie eine Anklage, nur wie eine Feststellung.
»Ja«, sagte Griffin unbehaglich.
Munk legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Dann los«, sagte er. »Finden wir sie!«
Magisches Garn
Irgendwo in den Tiefen des Ozeans raste Jolly durch eine Röhre aus Wasser, kein Strudel wie der Mahlstrom, sondern etwas, das horizontal durch das Meer führte. Hell und Dunkel fegten an ihr vorüber, manchmal einzelne Farbkleckse, vielleicht Fischschwärme oder Korallenbänke oder gar Wesen, die noch niemand mit eigenen Augen gesehen hatte. Anfangs geriet sie in Panik, versuchte langsamer zu werden, sich zu wehren, allerdings ohne Erfolg. Dann erinnerte sie sich, dass sie diesen Weg schon einmal auf dieselbe Weise zurückgelegt hatte, und sie begriff, dass sie zwar durch die See jagte, aber auch durch etwas, das vielleicht nur so aussah.
Sie war noch immer nicht sicher, ob das Zuhause der Wasserweberinnen tatsächlich am Grunde eines gewöhnlichen Ozeans lag; so wie der Olymp der griechischen Götter gewiss kein normaler Berg gewesen war und das Asgard der Nordmänner sich nicht am Ende eines echten Regenbogens befand.
Zuletzt ließ sie sich einfach treiben, schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, dass ihr bei dieser Geschwindigkeit nicht schlecht wurde. Sie wollte den Weberinnen nicht mit grünem Gesicht und blutunterlaufenen Augen gegenübertreten.
Die vergangenen Minuten - oder Stunden? - waren in einem seltsamen Taumel um sie herum abgelaufen, so als stünde sie selbst außerhalb des Geschehens. Das Letzte, woran sie sich deutlich erinnern konnte, war die verblassende Perle im Dunkel des Mahlstroms. Oder nein, da war noch mehr: Das Licht war erloschen, die Perle in Finsternis versunken. Dann eine enorme Bewegung, die sie nur fühlte, nicht sah. Etwas hatte sich auf sie zubewegt, mit höllischer Geschwindigkeit und so groß, dass das Wasser um sie herum zurückgedrängt wurde und sie mit sich riss, irgendwo anders hin, fort von der Perle und wohl auch von Munk.
Munk! Was war aus ihm geworden? Der Gedanke an ihn tat weh, so als . ja, als würde sie ihn vielleicht niemals wieder sehen.
Und dann war da das Licht gewesen, weit entfernt, denn die Wasserverdrängung hatte sie fortgeschleudert. Und vor dem Licht hatte sie für einen Augenblick, wirklich nur für einen Sekundenbruchteil, eine gigantische Silhouette gesehen - den Umriss jenes Wesens, das sie erst umkreist und sich beim Verlöschen des Lichtscheins auf sie zubewegt hatte. Doch alles war viel zu schnell gegangen, um irgendwelche Details zu erkennen. Geblieben war allein der Eindruck ungeheurer Größe und Fremdartigkeit - und fast so etwas wie eine Andeutung von Erstaunen über die Macht, die da freigesetzt wurde.
Danach war das Licht zu Dunkelheit geworden, wohl nicht wirklich, aber doch in ihrer Erinnerung. Sie vermutete, dass sie für einen Moment das Bewusstsein verloren hatte. Vielleicht war jedoch das, was vor ihren Augen geschah, zu fremd, zu gewaltig, um von ihren Sinnen überhaupt noch erfasst zu werden. Es war, als hätte ihr Verstand einfach die Luken dicht gemacht und sich geweigert, noch mehr von alldem aufzunehmen; so wie in den Bauch einer Galeone eben nur ein gewisses Maß an Ladung passt. Ihr Begriffsvermögen war übergelaufen wie ein Regenfass. Mehr ging einfach nicht hinein.
Und nun auch noch die Wasserweberinnen.
Es war seltsam, mit welcher Selbstverständlichkeit sie die Begegnung mit den dreien erwartete. Sie war am Ende ihrer Reise angelangt. Sie wusste nicht, ob die freigesetzte Magie der Perle den Mahlstrom zerstört hatte oder nicht. Doch auf die eine oder andere Weise war dies hier das Ende.
Vielleicht war sie tot.
»Nicht tot«, sagte eine weibliche Stimme in ihren Gedanken, und als sie die Augen aufschlug, sank sie gerade die letzten paar Handbreit hinab in den Sand einer unterseeischen Ebene.
Vor ihr standen drei muschelüberkrustete Spinnräder, angeordnet als Spitzen eines Dreiecks. Daran saßen, die Rücken einander zugewandt und die uralten Gesichter nach außen gerichtet, die drei Wasserweberinnen. Wie beim ersten Mal, als sie Jolly zu sich gerufen hatten, waren sie an ihrem langen Haar miteinander verwachsen. Die weißen Strähnen spannten sich über die fünf Schritt Distanz
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