Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
über seine vorstoßende Klinge hinweg und landete mit dem rechten Fuß auf seinem verletzten Bein. Tyrones Schrei war so laut, dass er draußen auf dem Platz zu hören sein musste.
Gut, dachte sie, vielleicht kommt jemand und nimmt mir die Drecksarbeit ab.
Mit links trat sie ihm endgültig den Säbel aus der Hand, beugte sich vor und stieß ihm ihre Klingenspitze vor die Brust. »Eine falsche Bewegung«, warnte sie ihn.
Und Tyrone lachte wieder.
Lachte und lachte, bis es in ein heiseres Husten überging.
Soledad holte aus - und überlegte es sich im letzten Moment anders. Statt ihn zu töten, hieb sie ihm den Knauf ihrer Waffe mit aller Kraft auf den Schädel. Das Husten brach ab, seine Züge schienen endgültig zu zerfließen, und das Kinn fiel ihm auf die Brust. Bewusstlos sackte er zusammen.
Soledad stieg über ihn hinweg und schleppte sich kraftlos zur Zimmertür. Tyrones Lachen schien ihr als geisterhaftes Echo zu folgen, als sie die Kammer betrat und sich über den leblosen Walker beugte.
Munk brüllte etwas, als er sich abermals zur Seite warf und der tödlichen Masse des Rochens um Haaresbreite entging. Griffin verstand seine Worte nicht, fluchte nur, weil er seinen Gegner erneut verfehlt hatte.
Munk hatte Jolly auf dem Gewissen, daran gab es für ihn keinen Zweifel. All die Hilflosigkeit, die er in den letzten Tagen und Stunden verspürt hatte, selbst die Leere nach seinem Sieg über das Wyvern, überfielen ihn von neuem. Munk trug nicht an allem die Schuld, irgendwie drang das noch zu ihm durch, aber auch das war längst einerlei. Das, was Griffin während der Schlacht durchgestanden hatte, hatte er für Jolly erduldet, um sie irgendwann wieder lächeln zu sehen. Mit seinem Verrat hatte Munk nicht nur dieses Wiedersehen zunichte gemacht. Griffin kam es vor, als wäre zugleich auch alles andere unbedeutend geworden.
Ob das Wyvern tot war oder lebte; ob der Herr der Klabauter noch da war oder nicht; ja, sogar ob Aelenium noch existierte oder auf dem Grund des Meeres lag - das alles war auf einen Schlag unwichtig, und ihm fehlte einfach die Kraft, es jetzt noch besser zu wissen, und auch die Ruhe, um nur ein paar Sekunden darüber nachzudenken.
Er wollte Munk heimzahlen, was er getan hatte. Im Augenblick schien ihm das wichtiger als alles andere, und er war selbst erstaunt, dass so viel Rachsucht in ihm steckte, so viel Verzweiflung.
Du schnappst über, wisperte es in ihm. Du verlierst den Verstand.
Und wennschon.
Zum dritten Mal ließ er den Rochen kehrtmachen. Munk verschwand hinter einem Wellenberg, aber das würde ihn nicht retten.
Walkers Augenlider begannen zu flattern, als Soledad ihn schüttelte. Sie konnte ihn nur festhalten, ihn anstarren, so als wäre das, was sie sah, nicht möglich.
Sie war überzeugt gewesen, dass Tyrone ihn getötet hatte.
Aber er lebte.
Walker lebte!
»Mein Kopf tut weh«, krächzte er benommen.
Ihre Kinnlade klappte nach unten. »Dein… dein… Kopf tut weh?« Dann zog sie ihn an sich, sodass er abermals schmerzerfüllt aufstöhnte, doch darum kümmerte sie sich nicht. Sie drückte ihn und weinte, wie sie es zuletzt beim Tod ihres Vaters Scarab getan hatte, und irgendwo tief drinnen wunderte sie sich, dass man dieselben Tränen weint, egal ob gerade ein Mensch gestorben oder zu einem zurückgekehrt ist.
Irgendwann nahm er ihren Kopf zwischen beide Hände, sehr sanft, und küsste sie. Sie musste daran denken, wie seltsam es war, dass sie ausgerechnet für diesen ungehobelten, stoppelbärtigen Piraten so viel empfand, aber dann gab sie es auf, eine Antwort darauf finden zu wollen.
»Ich dachte, du wärest tot«, flüsterte sie einen Augenblick später, immer noch ganz nah an seinem Ohr.
Er zögerte, ehe er sich allmählich wieder an Dinge erinnerte. »Tyrone . er war hier. Wo ist er?«
»Er liegt draußen im Flur.«
Mit seiner unverletzten Hand strich er ihr über das Haar. »Du hast mit ihm gekämpft?«
Sie nickte. »Er ist verletzt. Und bewusstlos.«
Walker lächelte. »Ich hab’s draußen auf dem Wall gemerkt . du hast eine Menge von diesen Halsabschneidern am Leben gelassen. Hast dein Herz für sie entdeckt, hmm?«
Für einen Moment wich sie seinem Blick aus, fast als schäme sie sich ein wenig, doch dann sah sie ihm in die Augen und küsste ihn lächelnd noch einmal.
Als sie sich zurückzog, bemerkte sie, dass sein Blick sich verändert hatte. Sein Gesicht war aschfahl geworden, aber noch bevor er etwas sagte, schoss sein Arm schon vor und
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