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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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in den kommenden Tagen dringend brauchen würde. Obwohl oben die Sonne auf das Wasser schien, war es sehr dunkel hier unten. Nur dort, wo die mächtige Ankerkette aus einem komplizierten Gewirr aus Stahl und Korallenästen entsprang, herrschte fahler Lichtschein. Schächte waren durch die Seesternspitze getrieben worden, deren Inneres oberhalb des Wasserspiegels regelmäßig mit Fackeln bestückt wurde. Aus ihren Öffnungen fiel gelber Schein und verlor sich bald in der Tiefe. Genug Licht, um Angreifer zu erkennen und sich ihnen zu stellen - aber zu wenig, um etwa die Schrift in einem Buch zu lesen. Die trübe Suppe würde den Kampf hier unten zusätzlich erschweren.
    Die Ankerkette war so breit, dass zwanzig Männer nötig gewesen wären, um eines der mächtigen Glieder mit ausgestreckten Armen zu umfassen. Neben den rostigen Kettengliedern wirkte ein Mensch verloren wie ein Fisch. Zerzauste Wasserpflanzen trieben auf unsichtbaren Strömungen, sie umlagerten das Metall an vielen Stellen wie dichtes Buschwerk.
    Jedes Mal, wenn Soledad an der Kette hinab in die Tiefe blickte, überkam sie Schwindel.
    Zwar versank das endlose Band am Rande des Lichtscheins aus den Fackelschächten in Finsternis, aber die Vorstellung, dass es bis zum Meeresgrund reichte, drehte ihr den Magen um. Obwohl sie sich unter Wasser befand, bekam sie bei diesem Gedanken so etwas wie Höhenangst. So viel Leere unter ihr, so viel Nichts.
    Walker hatte mit ihr gestritten, als sie ihm erzählte, dass sie sich den Tauchern anschließen wollte. Sie hatte sich jedoch nicht von ihrer Entscheidung abbringen lassen, auch nicht von ihm.
    Soledad wusste, worauf sie sich einließ. Sie hätte den einfachen Weg wählen und auf den Barrikaden kämpfen können, niemand hätte ihr deshalb einen Vorwurf gemacht. Doch sie war nicht die Tochter ihres Vaters, die zukünftige Kaiserin aller Piraten zwischen Tortuga und New Providence, um tatenlos mit anzusehen, wie die Klabauter an Land strömten. Sie wollte etwas gegen die Kreaturen des Mahlstroms unternehmen - und das so schnell wie möglich.
    Alle Taucher hatten jetzt das Netzwerk aus Metallstreben und Korallenzweigen erreicht, in dessen Mitte die Kette mithilfe mächtiger Ringe an der Unterseite der Seesternspitze verankert war. Nirgends war die Ankerkette so verletzlich wie an dieser Stelle, an der sie in die Stadt mündete.
    Das Metall zu zerstören überstieg die Fähigkeiten der Klabauter - sie besaßen weder Sprengstoff noch schweres Werkzeug -, aber ihre Klauen waren scharf genug, um die Verankerung aus der Koralle zu graben. Vor allem deshalb wurde der Angriff auf die Kette an ihrem oberen Ende erwartet, nicht unten am Anker.
    Die Fackelschächte waren in einem weiten Kreis rund um die Verankerung angeordnet, was dem seltsamen Ort die Anmutung eines vorzeitlichen Tempels gab - ein unwirkliches Heiligtum, das von einem Ring aus Lichtsäulen umgeben war.
    Der Trupp, den Soledad und die anderen ablösten, kehrte zur Oberfläche zurück. Soledad sah zu, wie die klobigen Gestalten durch die schimmernden Säulen schwammen und sich jenseits davon in Dunkelheit auflösten. Trotz ihrer Mitstreiter überkam sie ein beängstigendes Gefühl von Verlorensein, und sie schauderte bei dem Gedanken an Jolly, die dieses Gefühl gerade hundertmal stärker empfinden musste. Sie wünschte sich, sie hätte vor Jollys Aufbruch die richtigen Worte finden können, um zum Ausdruck zu bringen, wie groß ihre Hochachtung vor der Tapferkeit des Mädchens war.
    Soledad und die anderen Taucher verteilten sich im Gewirr der Korallenäste und Metallstangen. Die meisten setzten sich auf Querstreben, um ihre Kräfte für den bevorstehenden Kampf zu schonen. Sauerstoffbläschen umwirbelten ihre Köpfe wie silberne Insektenschwärme.
    Die dünne Luft zehrte schon jetzt an Soledads Ausdauer. Sie versuchte, bewusster und langsamer zu atmen. Sie löste eine der beiden kleinen Armbrüste, die sie an ihrem Gürtel trug, spannte sie mithilfe einer Kurbel, zog einen der Bolzen aus ihrem Brustgurt und schob ihn in die Schussvorrichtung. Unter Wasser war die Wucht eines Treffers nicht halb so hoch wie an der Oberfläche, doch es reichte immer noch aus, um einen dürren Klabauterkörper aus einer Entfernung von zehn Schritt zu durchschlagen. Das Abfeuern von Pistolen war hier unten natürlich unmöglich, aber Soledad war wie die anderen mit einer Vielzahl von Dolchen ausgerüstet. Die schmalen Stilette hatten sich als die brauchbarsten Waffen im

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