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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Häuptlings entschied nicht die Schlacht, war nicht einmal das Bruchstück eines Sieges. Und doch verhalf er den Verteidigern der nördlichen Wälle zu einem Augenblick des Innehaltens.
    Die Klabauter zogen sich zurück. Jene, die gerade erst aus dem Wasser aufgetaucht waren, glitten unter die Wogen. Andere warfen sich herum und stürzten sich zurück in die Brandung. Und viele, die nicht schnell genug dem Strom ihrer Brüder folgten, wurden von den Männern und Frauen auf den Wällen getötet.
    Eine Atempause, nicht mehr. Es würde nicht lange dauern, ehe ein anderer Häuptling die Stelle des Erschlagenen einnahm, die Angreifer von neuem einschüchterte und zu einer weiteren Attacke formierte. Doch für einen Moment erstarben die Gefechte auf diesem Teil des vorderen Walls.
    Walker sprang die Barrikade hinunter, erschlug einen Nachzügler und lief Buenaventure entgegen. Mit einer überschwänglichen Mischung aus Flüchen und Jubelrufen nahm er seinen Gefährten in Empfang, und gemeinsam kehrten sie auf den Wall zurück, sammelten ihre Kräfte, reinigten ihre Wunden und warteten gemeinsam auf die nächste Angriffswelle.
    Sie wussten, dass es so weit war, als die ersten toten Fische vom Abendhimmel regneten. Silbrig funkelnd, so als stürzten die Sterne selbst ins Meer.
    Griffin klammerte sich an die Zügel des Flugrochens. Der Schock über den Tod seines Schützen hatte ihn so heftig getroffen, dass er beinahe aus der Ringformation der Rochenreiter ausgebrochen wäre. Dann aber bekam er sich und das Tier wieder unter Kontrolle, und einige Sekunden lang war er zu beschäftigt damit, den Rochen zurück in seine Bahn zu lenken, um an Rorrick zu denken.
    Erst als sich ihr Flug wieder stabilisiert hatte, überkam ihn die Gewissheit vom Tod seines Schützen erneut. Er sah ihn immer noch hinter sich sitzen, konnte ihn sogar spüren, obwohl der Leichnam längst unter den Wellen verschwunden war. Das Bild wurde überlagert von Rorricks letzten Sekunden, der Lanze, dann dem Sturz.
    Griffins Muskeln waren verkrampft. Seine Handknöchel traten hervor, als wollten sie jeden Moment die Haut sprengen. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Angst vor einer zweiten Lanze. Verzweiflung, dass alles, was sie taten, umsonst war. Und vor allem die Gewissheit, die Schuld an Rorricks Schicksal zu tragen.
    Wenn er den Rochen schneller hätte fliegen lassen; wenn er höher oder tiefer geflogen wäre; wenn er darauf geachtet hätte, von wo im Wasser die meisten Lanzen geschleudert wurden - ja, dann wäre Rorrick vielleicht noch am Leben. Aber er hatte nichts dergleichen getan. Und Rorrick war tot.
    Er war drauf und dran, einfach aufzugeben. Er war Pirat, kein Soldat. Er hatte oft gekämpft - wenn auch nicht so oft, wie er früher gern behauptet hatte -, und er hatte Männer sterben und Schiffe sinken sehen. Doch das hier war etwas anderes. Dies hier war ein Krieg. Kein Scharmützel auf See, kein Überfall auf träge, schwerfällige Händlergaleonen.
    Krieg, dachte er noch einmal. Und mit einem Mal hatte die Vorstellung vom Töten und Getötetwerden nichts Tollkühnes mehr an sich und schon gar nichts Heldenhaftes. In diesen Momenten spielte es keine Rolle, wer sich weshalb im Recht fühlte, wer zum Kämpfen gezwungen wurde oder einem hehren Ideal folgte.
    Wir werden alle sterben, dachte er. Dabei überkam ihn eine unverhoffte Sachlichkeit, die ihn beinahe mehr erschreckte als die Verzweiflung, die ihn zuvor in ihrem Bann gehalten hatte.
    Wir alle, durchfuhr es ihn. Jeder von uns.
    Auch Jolly.
    Er löste die Hand vom Zügel und rieb sich mit dem Handballen die Augen, so fest, bis es wehtat und feurige Räder in seinem Sichtfeld rotierten. Dann erst kehrte ein Stück weit seine Vernunft zurück.
    »Griffin!«
    D’Artois’ Stimme ließ ihn nach rechts blicken. Der Hauptmann hatte seinen Rochen direkt neben Griffin gebracht. Die Schwingen der beiden Tiere berührten sich fast, dazwischen gähnte der Abgrund.
    »Griffin, du musst ans Ufer zurückkehren. Da sind noch mehr Schützen. Du darfst jetzt nicht aufgeben!«
    Die Miene des Hauptmanns war todernst, seine Wangenmuskeln mahlten verbissen. »Tu es, Griffin! Jetzt!«
    Griffin nickte ruckartig, dann ließ er seinen Rochen eine Mannslänge tiefer sinken und riss ihn herum. In einem engen Winkel, eigentlich zu scharf für solch ein behäbiges Tier, brach er nach innen aus dem Rochenkreis aus und flog auf die Korallenhänge Aeleniums zu. Unter ihm, im Wasser zwischen zwei Seesternzacken,

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